Tom Hiddleston: Der große Dünne mit den schönen Augen
Tom Hiddleston in »High-Rise«
Charakterdarsteller oder Sexsymbol? Der Brite Tom Hiddleston hat sich da noch nicht ganz entschieden. Nach dem Vampir in »Only Lovers Left Alive« und dem Superschurken Loki in den Marvel-Produktionen hat er sich gerade wieder eine Handvoll sehr unterschiedlicher Rollen erschlossen – vom Horrorfilm »Crimson Peak«, der jetzt anläuft, bis zum SF-Thriller »High-Rise«
Stars haben oft einen ganz besonderen Ausdruck, an dem man sie sofort erkennt. Bei Marilyn Monroe waren es die flatternden Lider und halb geöffneten Lippen, bei Tom Cruise ist es das umwerfende Lächeln. Der Brite Tom Hiddleston spielt zwar nicht in der Liga dieser beiden. Den signature look hat er aber schon früh entwickelt: Es ist ein Blick aus riesigen, verletzlichen und... nun ja, ziemlich feuchten Augen. Erst gehen die Brauen hoch, die Stirn legt sich in Falten, es blinkt verdächtig unter langen Wimpern und... Blam! In Steven Spielbergs »Gefährten« wurde Hiddleston in so einem Moment vom Pferd geschossen. In der Shakespeare-TV-Produktion »Henry V.« weint er auf dem Thron, in »The Deep Blue Sea« auf dem Höhepunkt einer Beziehungskrise mit Rachel Weisz. Und ausgerechnet als Loki in den »Thor«- und »Avengers«-Filmen stiehlt er einer Riege von Kollegen so die Show – die Szenen, in denen der Gott des Chaos mit umflorten Augen in die Welt schaut, kursieren als Videoclips im Internet. Wahrscheinlich lässt Tom Hiddleston sich das in den Vertrag schreiben: dass er mindestens ein Close-up am Rand der Tränen haben muss.
Bei Hiddleston daheim, in England, hat man es sogar einem Paul Gascoigne verziehen, dass er auf dem Fußballplatz wie ein Schlosshund geheult hat. Und der 34-jährige Schauspieler scheint so oder so geeignet, den Ruhm des Landes zu mehren. Geboren und aufgewachsen in London und Oxfordshire, ein rich kid – der Vater war Manager eines Pharmazieunternehmens, die Mutter arbeitete in der Kulturbranche –, ausgebildet in Eton, Cambridge und auf der renommierten Royal Academy of Dramatic Art, macht Hiddleston nicht nur im Film, sondern auch bei öffentlichen Auftritten eine gute Figur. Er hat diesen Habitus, an dem sich in England und Frankreich Angehörige der Oberschicht erkennen: eine freundliche Lässigkeit, die sagt, mir kann in dieser Welt nichts passieren. Zugewandt, eloquent, notorisch gut gelaunt und legendär höflich, dabei zu jedem Unfug bereit – »Können Sie gerade mal Captain America imitieren?« –, muss er der Traum aller PR-Agenten und Journalisten sein. Eine smarte, hippe Version des Modells britischer Gentleman. Man kann sich gut vorstellen, dass er eines Tages vor der Queen steht, um den Adelsschlag zu empfangen, mit scharf geschnittenem Anzug und feinem Lächeln. Und dann wird er seine coolsten Dance-Moves vorführen oder der alten Dame den Balu-Song aus dem »Dschungelbuch« vorsingen.
Viele von Hiddlestons Rollen profitieren von seiner sozialen Prägung, seiner unangestrengten Noblesse – nicht nur der Offizier in »Gefährten«, dessen schmählicher Tod bei einer fehlgeleiteten Kavallerieattacke im Ersten Weltkrieg – »Someone has blundered« – den Untergang einer ganzen Gesellschaftsform, des Empire, markiert, oder typische BBC-Kostümschmonzetten-Parts wie der stürmische Landadlige in »Return to Cranfrd«. Als Schauspieler entdeckt wurde Hiddleston von der Regisseurin Joanna Hogg, die in ihren auf sehr kunstvolle Art sozialrealistischen Filmen eine neue gehobene Mittelschicht porträtiert – nicht mehr die Bourgeois von Chabrol, sondern Kulturliberale, Leute, die pfleglich mit ihren Angestellten umgehen, sich politisch korrekt verhalten und alles andere als spießig sein wollen.
In Hoggs »Unrelated«, mit dem Hiddleston 2007 nach einigen Fernsehrollen sein Spielfilmdebüt gab, spielt er einen Jugendlichen, um die 18, der während eines Familienurlaubs in der Toskana einer älteren Frau den Kopf verdreht – in Muscle-Shirt und Shorts, hedonistisch, charmant und gedankenlos, materiell rundum versorgt, aber emotional vernachlässigt. »Archipelago« stellte 2010 eine depressivere Variante dieses Typus vor: Wieder ein Familienurlaub, jetzt auf den kühleren Scilly-Inseln, wo man vernünftige Jacken und Schals trägt. Edward möchte offenbar aus seinem bürgerlichen Leben ausbrechen. Er hat sich für ein Aidsprojekt in Afrika als Freiwilliger gemeldet und belagert die patente junge Köchin, während die Mutter und vor allem die konservative Schwester sein Projekt schweigend missbilligen. Zeigt sich in »Unrelated« schon die natürliche Eleganz, die Hiddleston später, als Loki, zu einem katzenhaften Killergang ausbauen sollte, so wirkt er in »Archipelago« unsinnlich und introvertiert: ein junger Mann, der nicht wirklich zu Hause ist in seinem Körper. Dafür kann ein haarfeiner Wechsel des Ausdrucks in seinem Gesicht in diesem Film der starren Einstellungen eine Kamerabewegung auslösen.
Nach »Archipelago« konnte man denken, dass Hiddleston ein Arthouseschauspieler ist. Woody Allen holte ihn für den kleinen Part des F. Scott Fitzgerald in »Midnight in Paris«. Und unter der Regie des englischen Autorenfilmers Terence Davies (»Distant Voices«, »Still Lives«) spielte er die männliche Hauptrolle in »The Deep Blue Sea«, der Adaption eines Stücks, in dem der Dramatiker Terence Rattigan in den frühen Fünfzigern eine unglückliche Liebesbeziehung zu einem anderen Mann in Form eines heterosexuellen Melodrams verarbeitete. Die Figur des RAF-Piloten Freddie, der nach dem Zweiten Weltkrieg im zivilen Leben nicht mehr Fuß fassen kann und erst die Ehe, dann das Leben einer schönen Frau aus der besseren Gesellschaft ruiniert, lag durchaus auf Hiddlestons Linie: Da ist eine stürmische Erotik im Spiel und ein schneidiger Charme. Neu waren die Züge purer Rohheit – der hysterische Machismo des soldatischen Engländers, komplett mit Kneipengesängen und dick aufgetragenem Fliegerlatein.
Schwergefallen, heißt es, sei ihm die Darstellung des Adam in Jim Jarmuschs halluzinatorischem Vampirfilm »Only Lovers Left Alive« (2013): Er durfte kaum Ausdruck zeigen, schon gar nicht lächeln – und das mit diesem geradezu absurd beweglichen Gesicht, den redseligen Augenbrauen. Am Ende wäre die Rolle in »Lovers« allein geeignet gewesen, einen Hiddleston-Kult zu etablieren. Sein Adam ist eine Mischung aus Lord Byron und Iggy Pop, ein idiosynkratischer Intellektueller mit schmaler Brust, Totenkopfkette und Rattennestfrisur, der die Konsummoderne hasst – »Fucking Zombie shit« – und historische E-Gitarren sammelt. So recht unwiderstehlich erscheint er jedoch erst im Licht, das die ebenso dünne und hochgewachsene Tilda Swinton erzeugt – die beiden wirken wie Positiv und Negativ, das androgynste, inzestuöseste, smarteste und romantischste Filmpaar der Neuzeit. Man möchte für sie eine Blutbank plündern.
Als »Lovers« herauskam, war aber schon längst ein neuer, entfesselter Hiddleston auf die Leinwand geplatzt – der Blockbusterstar. Eigentlich hatte er sich bei Kenneth Branagh, neben dem er in der TV-Serie »Wallander« als leicht misslauniger Jungpolizist zwei große Feuchte-Augen-Blicke hatte, für die Hauptrolle in »Thor« beworben – er soll in Branaghs Büro einen Wasserkanister geschwungen haben, um sich als Donnergott zu qualifizieren, und machte einen Screentest. Dass Branagh ihn dann für die Rolle des Gegenspielers, des missratenen kleinen Bruders von Thor, verpflichtete, war vielleicht der einzige stroke of genius, den der Shakespeare-Regisseur in diesem effektlastigen Comicfilm hatte: Loki, der Magier und Gestaltwandler, der clevere Trickster, wurde der beliebteste Bösewicht des Marvel-Universums.
In zwei »Thor«-Filmen und in »The Avengers« mischte Hiddleston grelle Grundtöne mit einer für diese Art Rolle untypischen Sensitivität. Lokis divenhafte Selbstinszenierung, sein irres Grinsen und seine manischen Ausbrüche – »in the end, you will always kneel« – markieren eine Spielart der gekonnten, bewusst eingesetzten Schmierenschauspielerei, die den Schurken made in GB zum internationalen Exportschlager gemacht hat (sehen Sie dazu auch die Reklamespots von Jaguar: »British Villains« mit »Hiddles« als Hauptwerbeträger). Mit seiner seidenweichen, gepflegten Stimme, dem Schneewittchenteint und den scharfen Wangenknochen ist Loki aber auch auf schräge Art sexy. Und Szenen wie die, in der er unter Tränen seinem Pflegevater Odin das Geheimnis seiner Herkunft entreißt – er gehört einer Spezies an, die von Asgards Götterclub verachtet und bekämpft wird –, oder die, in der er, auf dem Höhepunkt der Schlacht um New York, im Griff seines von Chris Hemsworth gespielten Bruders zu zerfließen droht, überzeugten die Fangirls schnell davon, dass der Mann bloß das Opfer seiner versnobten weißen Upperclass-Sippe ist und nicht verhaftet, sondern geknuddelt gehört.
Bei Lokis Popularität ist inzwischen so etwas wie ein Internet-Topos geworden: Es gibt regelrechte Videovorlesungen zu der Frage, worin der besondere Appeal dieser Performance besteht, warum diese Figur solche Leidenschaften auslöst. Tatsächlich ist Tom Hiddlestons Fangemeinde überdurchschnittlich aktiv. »Lokis Armee« produziert hinreißende Videos und Fan-Art, setzt laufend neue Meme in die Welt, verbreitet Loki-ismen – »I am burdened with glorious purpose« – und verfasst massenhaft Fanfiction: Geschichten, in denen der quecksilbrige Loki der Agent einer Kultur der ethnischen Toleranz und sexuellen Grenzüberschreitung ist und wahlweise bi-, homo- oder intersexuell auftritt, gerne auch in seiner blauen Version als Frostriese. Der eingeschlafenen »Edda«-Rezeption und den Comics hat Hiddlestons Interpretation der Figur ebenfalls einen Schub verpasst: Auf dem E-Book-Markt poppen ständig neue Loki-Romane auf, die den Mythos neu erzählen, und Marvel hat eine Heftreihe gestartet, die den klassischen Schurken der »Avengers«-Serie in einer jungen, von den Filmen inspirierten Version zeigt.
Blass, schmal und schwarzhaarig – naturbelassen, hat er mal gesagt, sehe sein Haar aus wie der blonde Schopf von Gene Wilder –, ist Hiddleston in den Marvel-Filmen der perfekte Gegenentwurf zu Chris Hemsworths athletischem Thor. Und die Konkurrenz der beiden in Hassliebe verbundenen Brüder reicht über die Filme hinaus – in ihnen spiegeln sich zwei gegensätzliche Trends im aktuellen Männerbild. Da sind auf der einen Seite die Hunks, die hellen, gesunden Tatmenschen, Stars wie Chris Pratt, Channing Tatum, Charlie Hunnam oder die Hemsworth-Brüder; auf der anderen hat sich der Typus des dunklen, neurotischen Intellektuellen etabliert, repräsentiert von englischen Schauspielern wie Benedict Cumberbatch, Eddie Redmayne oder eben Hiddleston.
Dieses neue, belesene Britpack ist keine unangenehme Erscheinung in einer Gesellschaft, die sich in hässlichen Funktionsklamotten zu Tode trainiert, und es bietet den vom großen Kino lange vernachlässigten Geeks im Publikum willkommene Projektionsflächen. In England allerdings hat der Erfolg einer wachsenden Clique von Schauspielstars, die von den privaten Eliteschulen kommen – neben Cumberbatch, Hiddleston und Redmayne auch Homeland-Star Damian Lewis, Superman Henry Cavill und Tom Hardy, bei den Frauen Carey Mulligan, Emily Blunt oder Rebecca Hall –, eine Klassendebatte ausgelöst. Arbeiterkinder seien inzwischen bedenklich unterrepräsentiert in der Szene, haben James McAvoy und seine ältere Kollegin Julie Walters beklagt; während die posh actors von den Preisgremien und der BBC gehätschelt würden, könnten Talente aus den unteren Schichten sich kaum die Schauspielschulen leisten.
Und dann, stöhnte ein junger amerikanischer Schauspieler im Web auf, reisen diese Eton-Typen auch noch alle über den Teich und fischen in den USA die Rollen weg. Da ist etwas dran. Zu den Filmen, die Hiddleston zuletzt gedreht hat, gehören nicht nur Guillermo del Toros auf englische Horrortraditionen rekurrierender »Crimson Peak« – Rebecca auf LSD, lassen die Trailer vermuten – und »High-Rise« nach einem Roman des englischen SF-Autors J.G. Ballard. In dem Biopic »I Saw the Light« spielt Hiddleston die amerikanische Countrylegende Hank Williams, einen Jungen aus West Virgina, der nicht mal einen Highschool-Abschluss hatte. Hiddleston kann, wie die meisten englischen Schauspieler, Akzente, und er singt richtig gut. Den Ton von Williams zu treffen, ist allerdings eine Herausforderung. Stimmen aus Toronto, wo der Film kürzlich Premiere hatte, meinen: die Besetzung funktioniert.
Am Ende wird man dem netten Engländer, der nie ein abfälliges Wort über Kollegen verliert und weiß, was er an seinen Fans hat, auch diesen Stunt nachsehen. So wie die Szene, in der er sich einmal wirklich danebenbenommen hat. In den »Avengers« hat er vermutlich die bösartigste Line, die je in einem von Disney verliehenen Film gefallen ist. Da beschimpft er Scarlett Johanssons Schwarze Witwe in Lokis altertümlicher Diktion als »mewling quim« – »quäkende Möse«. Während die deutsche Synchronisation den Ausdruck fürsorglich wegretuschiert hat – bei uns heißt es »erbärmliches Weib« –, finden die Fans ihn nicht verächtlich, sondern kinky. Sie lassen sich ihren Earl Grey in Loki-Tassen servieren: »Here is your tea, mewling quim.«
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