Kritik zu Tanta Agua – Nichts als Regen
Das Nichts hat es in sich: Für einen getrennten Familienvater fällt der Urlaub mit seinem beiden Kindern sprichwörtlich ins Wasser – die uruguayischen Filmemacherinnen Ana Guevaras und Leticia Jorge machen daraus ein leises, detailreiches Drama
Nichts Langweiligeres als ein verregneter Urlaub. Und das auch noch als Sujet eines Spielfilms? Die ersten Bilder in Ana Guevaras und Leticia Jorges Debütfilm wirken in der Tat trist. Soll Langeweile durch eine langweilige Inszenierung bebildert werden? Wer sich auf die unterschwelligen Beobachtungen der beiden Autorenfilmerinnen einstimmt, wird ähnlich positiv überrascht wie von »Tres« (2012), dem Film ihres uruguayischen Landsmannes Pablo Stoll, der auch von einer Scheidungssituation erzählte.
Der von seiner Frau getrennt lebende Chiropraktiker Alberto will während eines einwö- chigen Urlaubs in einem Ferienbungalow den abgerissenen Kontakt zu seiner pubertierenden 14-jährigen Tochter Lucia und seinem kleinen Sohn Fedrico wieder herstellen. Da es keinen Fernseher gibt und das örtliche Thermalbad aufgrund des Dauerregens geschlossen ist, scheint der Urlaub ins Wasser zu fallen. Alberto versucht das schlechte Wetter mit peinlichem Grimassenschneiden und trotzigem Aktionismus zu kompensieren. Das Leitmotiv des Wassers bestimmt auch den Ausflug in ein Wasserkraftwerk. Neben den Turbinen, die dank der Kamerafrau Maria José Secco noch gigantischer wirken, sehen Alberto und seine beiden Kids ameisenklein aus. So fühlt sich tatsächlich die aufgeweckte Lucia, deren Empfindungen und Wünsche allmählich ins Zentrum der Betrachtung rücken.
Beim Angeln am Fluss entsteht erstmals eine entspannte Nähe zum Vater. Lucia nutzt seine gute Laune allerdings gezielt aus, um ihm die Erlaubnis zum Discobesuch abzutrotzen. Mit subtiler Beiläufigkeit erzählen die Autorenfilmerinnen, dass die Sache einen Haken hat. Die noch etwas kindlich wirkende Lucia hat sich unterdessen mit der gleichaltrigen Madelón angefreundet, die mit ihrer reiferen Erscheinung die Aufmerksamkeit eines netten Jungen auf sich zieht, in den auch Lucia sich verguckt hat. Ihr cleverer eingefädelter Versuch, die Freundin beim Discobesuch auszubooten, schlägt schmerzlich fehl. Lucia verliert den Jungen an die Konkurrentin und gilt in deren Augen als Verräterin.
Diesen seelischen Mikrokosmos einer jungen Frau auf der Schwelle zum Erwachsenwerden leuchten die beiden Regisseurinnen mit liebenswürdiger Detailgenauigkeit aus. Im Grunde geschieht nicht viel, doch dieses »nichts« hat es in sich. Malú Chouza als Zahnspangen-Mädchen, das sich zwischen Bonbons und Zigaretten noch nicht entschieden hat, spielt mit zurückhaltender Selbstverständlichkeit. Néstor Guzzini als korpulenter Daddy in Schlabberklamotten und Dreitagebart wirkt mit seinem heimlichen Damenbesuch zunächst nicht vertrauenerweckend. Doch wenn er den kleinen Federico nach einem Fahrradunfall zum Arzt bringt und ganz selbstverständlich das Erbrochene seiner Tochter entsorgt, bekommt er eine stille Grö- ße. Das introvertierte Coming-of-Age-Drama, dessen leitmotivischer Erzählfluss sich am Ende in Lucias ungeweinte Tränen ergießt, mag ein typischer Festivalbeitrag sein, der mehr Aufmerksamkeit erfordert als Filme mit zugespitzten Pointen. Wer sich jedoch auf die ganz eigene Poesie von Ana Guevara und Leticia Jorge einlässt, den begleiten die Szenen eine Weile weiter, besonders das aussagekräftige Schlussbild hat es in sich.
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