Ein unerbittlicher Charmeur
Wie schafft er es nur, dass seine Gesprächspartner sich so rückhaltlos vor der Kamera preisgeben? In welcher Sicherheit wiegt er sie? Die Opfer legen mit würdevoller Gewissenhaftigkeit Zeugnis ab von den Verbrechen, die gegen sie, ihre Familien und gegen die Menschlichkeit begangen wurden. Die Täter, oft sind es Unbeirrte, erzählen nicht weniger freimütig; sie haben keine Ahnung, wie unwiderruflich sie sich entlarven. Marcel Ophüls besitzt ein einzigartiges Talent, Menschen zu öffnen. Er lässt den Befragten, so oder so, ihre Aura.
Der Regisseur von »Das Haus nebenan«, »Hôtel Terminus« und anderen Filmen über den Zivilisationsbruch der Nazis ist ein Meister der Enttarnung. Er stellt listig harmlose Fragen. Einem Schaf im Wolfspelz gleich, entlockt er Kriegsverbrechern und Kollaborateuren unerwartete Bekenntnisse. Ihre Treuherzigkeit muss nicht verblüffen angesichts der hinterhältigen Jovialität, mit der er sie befragt: Ophüls ist ein unerbittlicher Charmeur. Und wenn seine Gesprächspartner mal Vergessen oder Unwissenheit vortäuschen, wenn sie sich mit Lügen oder Beschwichtigungen aus der Affäre ziehen wollen, legt die Montage Widerspruch ein: Unnachgiebig argumentiert sie mit der Evidenz von Wochenschau- und Archivaufnahmen.
Ophüls bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Geschichtsschreibung und Gedächtnis, auf dem sich die Vergangenheit als eine Fiktion begreifen lässt; nicht nur, wenn er bestürzend heitere Ausschnitte aus Spielfilmen einfließen lässt. Was er, der eigentlich viel lieber Komödien und Musicals gedreht hätte, nicht aus Sarkasmus tut. Den Schrecknissen des 20. Jahrhunderts noch Lebensfreude abzutrotzen, und ihnen dennoch nie entkommen zu können ist ein, wenn nicht das zentrale Thema seines Kinos. Die Historie wird bei ihm unbequem gegenwärtig. Er beharrt darauf, die alten Geschichten wieder aufzuwärmen, bricht den Pakt des Schweigens und der Verdrängung, der in der Bundesrepublik und anderswo herrschte.
Nun ist er auf einer kleinen Tournee durch Deutschland, um neuerlich seine Lebenserinnerungen (»Meines Vaters Sohn«, Propyläen) vorzustellen, aus denen seines Vaters Max (»Spiel im Dasein«, Alexander Verlag) zu lesen und zu seinen eigenen Filmen Rede und Antwort zu stehen. An diesem Wochenende (am 4. und 5. September) tritt er in der Berliner Akademie der Künste auf – besonders gespannt bin ich auf zwei Fernsehdokumentation, die er 1970 und 1980 für den NDR realisiert hat - und einige Tage später (am. 8. und 9.) im Filmhaus der Geburtsstadt seines Vaters, Saarbrücken. Die dortigen Lesungen werden vom saarländischen Rundfunk aufgezeichnet und demnächst ausgestrahlt. In Berlin wird ihn Ralph Eue befragen, ein ausgewiesener Kenner, der u.a. eine großartige Sammlung von Ophüls' Texten (»Widerreden und andere Liebeserklärungen«) mit herausgegeben und übersetzt hat. Bleibt zu hoffen, dass Ophüls im Saarland in ebenso guten Händen ist.
Als Ophüls vor ein, zwei Jahren zum letzten Mal in Berlin war, erzählt er Ralph im Interview von seinem Plan, einen Spielfilm über Ernst Lubitsch zu drehen, mit Dustin Hoffman in der Hauptrolle, wenn mich die Erinnerung nicht täuscht. Dieser Wunsch lässt sich aus seiner Biographie durchaus erklären, seine Erfüllung wird uns aber wahrscheinlich erspart bleiben. Die kokette Selbststilisierung Marcel Ophüls' als verhindertem bzw. gescheitertem Spielfilmregisseur hat mich stets geniert. Er muss sich nicht verbergen hinter seinem Faible für das Leichtfertige, das seinem Vater mit solch schwermütiger Verve gelang. Gern schiebt er eine Söldnermentalität vor. Seine großen Filme seien ja alles Auftragsarbeiten gewesen. Papperlapapp. Warum stellen sie dann, allein schon mit ihrer ausgreifenden Länge, so unerhörte Ansprüche an ihre Auftraggeber und Zuschauer? Hoffentlich wird ihm Ralph diesmal ernsthaftere Bekenntnisse entlocken. Für seine Filme muss sich Marcel nicht schämen. Ihre Triebfeder ist die Empörung und ihre Dramaturgie ist unerschrocken. Ihre Fragestellungen waren notwendig und sind es noch. In ihnen gibt er sich zu erkennen. Das vermeintlich ungeliebte Genre hat er bereichert wie kein zweiter.
Es ist leichter, schrieb David Thomson einmal über die Weltsicht von Vater und Sohn, die Menschen zu mögen, als ihnen zu vertrauen. Ihre Lebenserinnerungen zeigen in der Tat, dass im Hause Ophüls der Apfel gar nicht so weit vom Stamm fiel. Auch Marcels Buch ist ein Füllhorn der Anekdoten, in denen sich Filmgeschichte, Philosophie und Zeitgeschichte verdichten. Schade nur, dass sich der deutsche Verlag für einen so behäbigen Titel entschieden hat (das kecke Original lässt sich mit »Memoiren eines Papasöhnchens« übersetzen). Nur selten ist ein Anflug von Altersmilde zu spüren (sein Geschlechterbild fällt allerdings ziemlich aus der Zeit und ich frage mich, wie seine Frau wohl auf das Eingeständnis diverser Affären und regelmäßiger Bordellbesuche reagierte). Ophüls fils gefällt es noch immer, offene Rechnungen zu präsentieren. Mit der doppelzüngigen Dummheit von Produzenten und Redakteuren hat er nach wie vor wenig Geduld. Es der Welt leicht zu machen, entsprach nie seinem Wesen und war im Übrigen auch nie seine Aufgabe. Ich stelle ihn mir als einen unbestechlichen Ankläger vor, der nach Dienstschluss gern Hollywoodmusicals sieht.
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