Kritik zu Stella
Die Schwedin Sanna Lenken will sich in ihrem Debütfilm dem schwierigen Thema Bulimie auf Augenhöhe seiner jugendlichen Heldinnen nähern. Für ihren Film wurde sie auf der Berlinale 2015 mit dem Gläsernen Bären ausgezeichnet
Stella hat prächtige rote Locken und ein liebenswert keckes Gesicht. Doch mit ihren zwölf Jahren fühlt sie sich schon als Loser. Denn da gibt es die große Schwester, die mit schulischen und sportlichen Erfolgen brilliert und auch in der elterlichen Aufmerksamkeit im Zentrum steht. Katja ist eine ehrgeizige und erfolgreiche Eiskunstlaufprinzessin. Während sie als anmutiger Schwan im Einzelunterricht grazil ihre Pirouetten dreht, wird die leicht pummelige Stella trotz aufmunternder Zurufe der Trainerin und tapferer Anstrengung wohl ewig Entlein bleiben. Doch immer wieder gibt es auch offene ausgelassene Momente zwischen den Schwestern.
Und auch Katja hat ein Problem, das sich in Ess-Brech-Störungen und Anfällen übergroßer Reizbarkeit äußert. Stella hat das als Erste und für lange Zeit Einzige bemerkt, wird von ihrer Schwester aber mit einer Erpressung zum Schweigen gebracht. Denn Katja weiß von ihrer heftigen Schwärmerei für den um vieles älteren Eiskunstlauflehrer und droht damit, das Geheimnis auszuplaudern. Als Stella vom möglichen tödlichen Ausgang einer Bulimie erfährt, wird das für sie zu einem kaum auszuhaltenden Dilemma. Doch auch als Katjas Krankheit irgendwann doch herauskommt, wird die Sache nicht einfacher, denn Katja verweigert sich jeder Einsicht oder Behandlung. Dass auch die überlasteten Eltern oft das Falsche tun, macht die Lage nicht besser.
Der Debütfilm der schwedischen Regisseurin Sanna Lenken ist mit seiner Perspektive der kleinen Schwester (der Originaltitel lautet »Min lilla syster«) und dem klugen Ansatz, den Perfektionswahn der jungen Magersüchtigen in pubertären Liebesnöten zu spiegeln, mehr als nur ein klassischer Problemfilm. Dennoch wird die Krankheit Bulimie in aller Drastik gezeigt. Dabei richtet sich der Film vor allem an Altersgenossinnen der Titelheldin, die sich in vielen der realistisch inszenierten familiären Konfliktsituationen wiederfinden dürften. Die visuelle Ausdruckskraft, mit der die oft ans Surreale grenzenden Innenwelten und Träume einer Teenagerseele ins Bild gesetzt sind, dürfte aber auch Erwachsenen gefallen.
Dabei ist der größte Reiz des Films die bei Drehbeginn erst elfjährige Hauptdarstellerin Rebecka Josephson (übrigens eine Enkelin des Ingmar-Bergman-Schauspielers Erland Josephson), die neben ihrem darstellerischen Können mit einem selten eigenwilligen Ausdruck in Mimik und Bewegung betört. Daneben verblasst die ebenfalls großartige Katja-Darstellerin Amy Deasismont (die unter dem Namen Amy Diamond in Schweden als Sängerin und darstellerisches Mulitalent schon ein Star ist) durch ihr doch rollenbedingt standardisiertes Modelgesicht und ihren Modelkörper.
Im Film liegen die beiden, so viel sei verraten, am Ende wieder kichernd zusammen. Nur dass sie, wie Stella es altklug sagt, eben (genreüblich) ein wenig »reifer« geworden sind. Auf der Berlinale, wo der Film dieses Jahr in der Sektion für Kinder- und Jugendfilme zu sehen war, wurde ihm von der Kinderjury der Gläserne Bär zugestanden.
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