Kritik zu Limbo
Ein Film über das Heranwachsen, der ganz ohne Eltern auskommt. In einer Folge karger Impressionen konzentriert die dänisch-deutsche Koproduktion die Umbrüche der letzten Schuljahre auf eine Schulklasse und ihr industrielles Ambiente
Die großen, existenziellen Fragen verfolgen sie. Auch nach dem Unterricht haben Sara und ihre Klassenkameraden keine Scheu, sich ihnen zu stellen. In der Kneipe diskutieren die Gymnasiasten über Wiedergeburt und die Hybris des Menschen, der sich die Welt untertan macht. Einmal fällt die erstaunliche Frage, ob die mineralische Gestalt der Erde vollendet ist oder noch immer Steine entstehen. Ihre Neugier ist nicht noch ein Privileg ihres Alters, sondern gewiss auch ihrer Heimat geschuldet. Nakskov, der Geburtsort der Regisseurin Anna Sofie Hartmann, ist ein Zentrum der dänischen Zuckerproduktion. Ihr sehr konzentriertes Langfilmdebüt oszilliert zwischen der Lebenswelt der Gymnasiasten und deren industriellem Ambiente. Der Film spielt im Herbst, welcher sanft in den Winter übergeht. Nakskov ist ein Ort, an dem sich hervorragend vom Anderswo träumen lässt.
Die Lehrerin Karen kommt aus einem solchen Anderswo. Die Zugezogene lässt ihre Schüler über Geschlechterbilder diskutieren und führt ihnen in der Theaterklasse vor Augen, wie diese sich in der Kunst artikulieren. »Antigone« steht ebenso auf dem Spielplan wie »Nora oder Ein Puppenheim«. Saras beste Freundin findet die Lehrerin etwas »zu feministisch«, aber sie selbst ist enorm von ihr angetan. Einmal hilft sie ihr beim Streichen ihrer Wohnung und besucht sie kurz darauf noch einmal, um Karen unvermittelt zu eröffnen, dass sie in sie verliebt sei. Die Lehrerin glaubt es ihr nicht. Von diesem Moment an verschiebt sich sacht der Fokus des Films zu Karen. Sie spürt, dass ihre Antwort ungenügend war. Sie will Sara zur Rede stellen. Diese kommt dem Film nun jedoch beinahe abhanden. Sie bleibt dem Unterricht fern; erst später kommt es zu einer Begegnung.
Hartmann vermeidet die entschiedene Dramatisierung der Geschehnisse. Ihrem Film hat sie einen naheliegenden, zugleich aber hoch gegriffenen Titel gegeben. Ein Fegefeuer sollte lodern; diesem Film indes gebricht es an Heftigkeit. Der Aufruhr bleibt still, er verharrt im Inneren. Wie tief ist Saras Verliebtheit? Sucht Karen sie aus Fürsorge oder Freundschaft? Die geduldig auf den Figuren verweilende Kamera gibt nicht vor, ihre Gefühle zu erfassen. Die Bilder sind kühl, fast streng komponiert. Man ahnt, wie intensiv Hartmann und ihre Kamerafrau Matilda Mester die Frage reflektiert haben, in welche Beziehung sie ihre Figuren zu ihrer Umgebung setzen können.
»Limbo« ist eine Produktion der DFFB. Sie trägt das Gen der Berliner Schule in sich (Valeska Grisebach leistete dramaturgische, Bettina Böhler Beratung beim Schnitt) und orientiert sich vornehmlich an der Angela-Schanelec-Variante. Hartmanns Film verrät eine ähnliche Lust, dem Alltag bei seiner Verrichtung zuzuschauen. Die Montage vermittelt diskret zwischen den Szenen, knüpft eher atmosphärische als affektive Verbindungen. Das Unverbundene ist natürlich eine Erfahrung, die dem Alter der Protagonistin entspricht. Dem wirken auf einer symbolischen Ebene die Exkurse in die Zuckerherstellung entgegen: Es ist ein Prozess der Verwandlung, der Raffinierung.
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