Kritik zu Einer wie Bruno
Spitzname Forrest, wie in »Forrest, Forrest Gump«. Christian Ulmen spielt einen Erziehungsberechtigten der besonderen Art: geistig behindert, aber herzig
So soll er jedenfalls erscheinen, Christian Ulmen als Bruno: herzig und nett trotz (oder wegen?) der geistigen Behinderung, dazu noch lebensweise wie das Wort zum Sonntag, in der Art des tumben Tors mit dem ewig-kindlichen Gemüt Forrest Gumps. Als »Quotenbehinderter« verrichtet Bruno einen Regalauffülljob im Supermarkt, wo der nicht sehr sensible Gabelstaplerkollege ihn »Forrest « tituliert. Mit seiner 13-jährigen Tochter Radost haust er in einem sozialen Wohnungsbau, und das kuriose Duo bemüht sich, der Dame vom Sozialamt glaubwürdig vorzuspielen, dass das Vater-Tochter-Szenario irgendwie klappt, obwohl die Rollenverteilung längst seitenverkehrt ist: Bruno ist das betreuungsbedürftige Kind, Radost die Betreuerin.
Der Plot klingt nach TV-Problemfilm der Woche mit jeder Menge Wohlfühlfaktoren. Genau das ist der Film auch, nur noch viel banaler als es die Inhaltsangabe erwarten lässt. Story und Figuren sind derart klischeelastig und uninspiriert in Szene gesetzt, dass aus dem herzig Gemeinten eine nervtötende Tortur wird. Vor allem seitens der Bruno-Figur: Ulmen glaubt offenbar, er könne diesen Pseudo-Forrest-Gump einfach so lässig hinlegen, mit ein wenig Kopfwackeln, Grimassieren, Schielen und Stottern, und liefert solcherart immer wieder Passagen einer unfreiwilligen Behindertenparodie im Comedystil.
Spießertölpel kann Ulmen (siehe »Männerherzen«) stimmig verkörpern, hier aber stimmt kaum eine Geste. Was auch daran liegen mag, dass Regisseurin Anja Jacobs Brunos Behinderung schon konzeptionell im Vagen und Willkürlichen belässt. Im Gegensatz zu gelungenen Entwürfen wie Dustin Hoffmans Autismus in »Rain Man« oder zum Tourette-Syndrom von Florian David Fitz in »Vincent will Meer«, ist Bruno nur so irgendwie retardiert.
Immerhin kann Partnerin Lola Dockhorn der Teenagerfigur streckenweise – besonders als sich ihre Liebesgeschichte mit dem neuen, smarten Klassenkameraden entspinnt – überzeugenden Ernst und Elan verleihen. Was die Geschichte nicht wirklich rettet. Einer wie Bruno ist der Prototyp des TV-Movies, das jedes Motiv sogleich zum banalsten Serien-Klischee verjuxt und jeder Figur, egal wie kontrovers sie eingeführt wurde – von den zickigen Klassenkameradinnen über die schimpfende Prollnachbarin, dem ätzenden Gabelstapelfahrer bis zu den keifenden Reiche-Leute-Eltern – eine wundersame Verwandlung ins Nette verpasst. Alle sind am Ende plötzlich supernett. Das ist kein hübscher Happy-End-Kitsch, sondern eine merkwürdige Konsenshysterie, eine wohl redaktionell verordnete finale Smiley-Orgie.
Was hat ein solcher Film im Kino zu suchen? Hier muss an Godards emphatische Unterscheidung von Kino und Fernsehen erinnert werden: Kino ist Entdeckungsreise, Fernsehen der All-inclusive-Urlaub, der sich gegen jede neue Erfahrung – sei sie menschlich, dramatisch oder visuell-ästhetisch – abschottet. Godard: »Die jungen Filmemacher wissen die Freiheiten des Kinos gar nicht mehr zu nutzen, weil sie durch das herrschende Denksystem des Fernsehens verkümmert sind!«
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