»Wolf Hall« – Der Rolls Royce der Fernsehserien
Mark Rylance in »Wolf Hall«
War schon immer ein Thriller: die Geschichte von Heinrich VIII., Thomas Cromwell und der Reformation in England. Jetzt kommt sie neu und frisch daher – nach Hilary Mantels preisgekrönten Romanen
In Großbritannien war die Serie über die tödlichen Intrigen am Hof Heinrichs VIII. ein Hit. So einhellig hatten die Tageszeitungen, vom linksliberalen »Guardian« bis zum konservativen »Daily Telegraph«, selten geschwärmt. Der »Independent« sprach gar von »Rolls Royce television«. Der Sechsteiler beruht auf den preisgekrönten Romanen »Wölfe« (»Wolf Hall«) und »Falken« (»Bring Up the Bodies«) von Hilary Mantel, die damit zur Starautorin wurde. Für das Drehbuch war Peter Straughan zuständig, der die jüngste Filmadaptation zu John le Carrés »Tinker Tailor Soldier Spy« (»Dame, König, As, Spion«) verfasst hatte. Die Schriftstellerin nannte Straughans Umsetzung ihrer mehr als 1000 Romanseiten »eine Meisterklasse im Drehbuchschreiben«. Das kinematographische Potenzial ihres Buchs war ihr bewusst: »Vom ersten Moment des Schreibens sah ich ›Wolf Hall‹ als Film vor mir. Ich dachte gleich: Das ist ein Filmskript. Das Buch beginnt ja gewissermassen mit einer Großaufnahme.«
Doch dass die Serie in England derart einschlug, hat nicht nur mit ihrer Qualität zu tun. Auch das Thema trifft einen Nerv der Briten: Denn das Land begann unter Heinrich VIII. seinen Sonderweg mit der Loslösung von Rom und der katholischen Kirche. Das Streben nach Souveränität prägte die nationale Identität und wird heute wieder, im Zuge der britischen Europadebatte, als virulent empfunden. Auch in den Führungsetagen der Londoner Politik übrigens: Dort erfreuen sich Hilary Mantels Romane großer Beliebtheit; George Osborne und David Cameron sind angeblich Fans – obwohl die Autorin ihre politischen Ansichten nicht teilt. Mag sein, dass der Sechsteiler keine Massenhysterie unter Serienjunkies auf dem Kontinent auslösen wird. Doch ihm gelingt das Paradox, die Tudor-Zeit in fast anfassbare Nähe zu rücken, ohne den Blick für die historische Distanz zu verlieren. Gezeigt wird ein Leben, das nicht viel wert war angesichts der Entscheidunsgewalt eines absolutistischen Herrschers, bedroht von Armut, Krankheiten und Seuchen.
Die Fernsehfassung des Romans kommt nicht als optisch auftrumpfendes Kostümdrama im Stil von »The Tudors« daher, sondern im verhalteneren Ton. Viel eher als den »Tudors« ist »Wolf Hall« einer Serie wie »House of Cards« verwandt mit ihrem Räderwerk von Berechnung, Intrigen, unsichtbaren Machtspielen und lautlosen Fallen. Hier wie dort nimmt sich die Erzählung Zeit bei ihrer Führung durch die Korridore der Macht. Und es gibt langsame Entwicklungen, die im Grunde immer komplizierter werdende Verwicklungen sind.
»Wolf Hall«-Regisseur Peter Kosminsky findet einen ganz eigenen Ton und Rhythmus, lässt Atmosphäre und visuelle Initimität entstehen. Viele Aufnahmen werden nur von Kerzen und Feuerschein beleuchtetet, wie in Stanley Kubricks »Barry Lyndon«. »Wolf Hall« erlaubt sich Halbdunkel und Schweigen, während es um Vorgänge – die Trennung Englands von Rom, die Heirat und Hinrichtung Anne Boleyns – von historischer Tragweite geht.
Die Enthauptung von Anne Boleyn ist der Höhepunkt der Serie und zugleich ihr emotionaler Tiefpunkt: ein kalter grauer Tag, die Todesangst der Verurteilten, der brutale und zugleich routinierte Ablauf der Exekution mit dem Richtschwert. Sie kniet, einen Richtblock gibt es nicht, und der Henker zieht die Schuhe aus, damit Anne seine Schritte hinter ihr nicht hört. Claire Foy, die Boleyn spielt, legt in einer stillen Bravourleistung den Weg von der kühlen Spielerin zum Opferlamm zurück. Wie alle Figuren in diesem Spiel ist auch sie zutiefst ambivalent.
Es ist die alte Geschichte von der Lust an Herrschaft und Einfluss, vom Aufstieg und vom Abstieg der Mächtigen, vom dünnen Eis, auf dem sie gehen. Thomas Cromwell, der Berater des Königs, steht im Mittelpunkt. Wie ein roter Faden zieht sich das Ausspielen von Klassenunterschieden – in Großbritannien immer noch lebendiger, als sich das mancher auf dem europäischen Festland vorstellt – durch alle sechs Teile: Auch darin ist »Wolf Hall« eine sehr englische Story. Sie erzählt von Cromwell, dem Sohn eines Hufschmieds, der Earl of Essex und die rechte Hand des Königs wird. Im Mittelpunkt steht, so sagt es Hilary Mantel, die Frage: Was ist das für ein Mensch, der diesen steilen Weg zurücklegt? Auch die Reaktion seiner Umgebung auf diesem schwierigen Parcours wird genau notiert: noch prononcierter als in Mantels Büchern. Bei zahllosen Gelegenheiten muss sich der Emporkömmling den Spott und die Herablassung des Adels gefallen lassen.
Thomas Cromwell ist kein lustvoller Machtpolitiker, der die Zuschauer zum Komplizen macht und mit direkter Ansprache an seinen Machenschaften teilhaben lässt wie Frank Underwood in »House of Cards«. Im Gegenteil: Was wirklich in ihm vorgeht, hält Cromwell sorgfältig verborgen. Er ist wortkarg und lässt sich nicht hinter das unbewegte, melancholische Gesicht blicken. Er ist ein guter Zuhörer, der seine Umgebung wachsam absorbiert. Dass der Machtpolitiker mit dem Killerinstinkt für menschliche Schwächen eine gequälte Seele ist, wird angedeutet. Rückblenden führen zurück in seine Kindheit und zu einem tyrannischen, gewalttätigen Vater. Mark Rylance zeigt als Cromwell ein Gesicht der Macht, das man nicht so oft im Fernsehen sieht: das der damit verbundenen Einsamkeit und gelegentlich auch – der Angst.
Die Serie katapultierte Rylance, einen gefeierten Theaterschauspieler, der lange künstlerischer Leiter des Globe Theatre in London war, ins Bewusstsein des britischen Mainstreampublikums. Theatergängern war er längst ein Begriff, seine Shakespeare-Interpretationen – »Richard III« und »Was Ihr wollt« etwa – sind legendär. Auch die Filmwelt hatte seinen Status längst abgenickt. Al Pacino war der Überzeugung, Rylance spreche Shakespeare-Verse, als ob sie für ihn geschrieben worden wären. Sean Penn, der Rylance seit zehn Jahren verehrt, gelang es schließlich, mit ihm in »The Gunman« (2015) aufzutreten. Unter Rylances eher raren Filmauftritten ist dem Publikum vielleicht noch der in Patrice Chéreaus genau beobachtetem Film »Intimacy« im Gedächtnis, der 2001 den Goldenen Bären in Berlin gewann und Diskussionen wegen seiner Sexszenen auslöste.
Rylance setzt seine schauspielerischen Mittel in »Wolf Hall« mit großer Zurückhaltung ein. Immer wieder erscheint er aus dem Dunkel spärlich beleuchteter Räume, zu Beginn als Einflüsterer seines ersten Dienstherrn, des Kardinals Wolsey (Jonathan Pryce). Auch bei seinem ersten Treffen mit dem König tritt Cromwell aus den Schattenwelten eines Hauses in einen Park unter strahlendem Sommerhimmel. Homeland-Star Damian Lewis spielt Heinrich autoritär, schneidend und launenhaft; Rylances lauernde Ruhe stellt eine Balance der Temperamente her.
Damit lässt »Wolf Hall« Raum für Auslegungen dieser Figur mit ihren vielen Gesichtern. Cromwell ist ein geschlagener Sohn und ein verhöhnter Höfling, ein trauernder Vater und Witwer, der den Tod von Frau und Kindern beweint – Opfer einer Seuche, die nicht näher benannt wird. Zugleich ist er ein kalkulierender Ränkeschmied, der die moralische Tragweite seiner Handlungen deutlich erkennt. Darin sieht Mark Rylance, der aus seinen politischen Überzeugungen in Interviews keinen Hehl macht, einen Grund für den Erfolg der Serie: »Sich seiner eigenen Korruption bewusst zu sein, ist eine schreckliche Sache. Ich glaube, viele Menschen sind an das spezifische wirtschaftliche System gefesselt, in dem wir arbeiten und in dem wir Unternehmen und Herren dienen, die uns nicht wirklich sagen, was sie tun.«
Manche Kritiker in England glauben, dass »Wolf Hall« England wieder auf die Landkarte des anspruchsvollen TV-Dramas gesetzt hat: »Einst galt die Adaptation von Literatur, fast auschliesslich eine vom britischen Fernsehen besetzte Domäne, als seine höchste Qualität – »I, Claudius«, »Brideshead Revisited«, Andrew Davies' »Pride and Prejudice«. Seit dem Aufstieg von amerikanischen Multiepisoden-Serien wie »The Wire« und »Mad Men« verschob sich der Fokus auf die andere Seite des Atlantiks«, schrieb Serena Davies im »Daily Telegraph«. Mit »Wolf Hall« sei das englische Fernsehen wieder zu dem zurückgekehrt, was es am besten könne – zur Adaptation von Literaturphänomenen.
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