Kritik zu Immer Drama um Tamara

Trailer englisch © Sony Pictures Classics

Stephen Frears' Vielseitigkeit verblüfft regelmäßig Zuschauer wie Kritiker. Dabei muss sich dieser Regisseur nicht ständig neu erfinden – er dreht einfach, so wie es ihm gefällt, einen Film nach dem anderen

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Es ist schon erstaunlich, wie fahrlässig das britische Kino letzthin die Provinz aus den Augen verloren hat. Dabei könnte es an eine große literarische Tradition anknüpfen, etwa an die ländlichen Sittenstudien von Jane Austen, den Brontë-Schwestern und Thomas Hardy. Wenn Stephen Frears in seinem neuen Film nun die topographische Sichtverengung aufbricht, tritt er damit gleich ein zweifaches literarisches Erbe an: Er adaptiert Posy Simmonds' grafischen Roman »Tamara Drewe«, der seinerseits an Hardys »Am grünen Rand der Welt« angelehnt ist. »Far from the Madding Crowd«, der Originaltitel von Hardys Roman, beschreibt auch den zentralen Handlungsort des Films treffend: Dieser kreist um ein bukolisches Refugium, in dem Schriftsteller in inspirierender Abgeschiedenheit schreiben können; auch wenn die vorzüglichen gastgeberischen Talente von Beth (Tamsin Greig), der Frau des Bestsellerautors Nicholas Hardiment (Roger Allam), mitunter eher zum Müßiggang verlocken.

Auf diesem reich gedüngten Erzählboden gedeihen die Eitelkeiten prächtig und wuchern die Gefühle wild. Zumal der Hausherr ein notorischer Frauenheld ist und auch der verschubste Hardy-Biograf aus den USA (Bill Camp) für Beth nicht nur platonische Bewunderung hegt. Richtig in Gang kommt der Reigen der verfehlten Lieben jedoch erst, als die Zeitungskolumnistin Tamara Drewe (Gemma Arterton) aus London heimkehrt, um das Haus ihrer verstorbenen Mutter renovieren zu lassen. Einst als hässliches Entlein verspottet, versetzt sie nun dank einer kunstvoll korrigierten Nase und in kecken Hotpants die Männerwelt in beträchtlichen Aufruhr. Sie fungiert als provozierende Präsenz. Wollte man den tolpatschigen deutschen Verleihtitel für einen Moment beim Wort nehmen, müsste man konstatieren, der Film interessiere sich mehr für das Drama als für sie. Er ist entschieden choral angelegt, macht sich im Schlepptau des grafischen Romans eine Vielzahl von Perspektiven zu eigen. Einen der schönsten Dialoge hat die Drehbuchautorin Moira Buffini für ein junges Schulmädchen reserviert, die eifersüchtig Tamaras Affäre mit einem Popstar beklagt: »Wieso schnappt sie sich ihn? Ich liebe ihn doch schon seit März!«

Stephen Frears ist ein Regisseur, der eher ein Wasserzeichen in seinen Filmen hinterlässt, als ihnen eine unverkennbare Handschrift aufzudrücken. Achtsam folgt sein Blick auf die sanft geschwungenen Hügel von Dorset, deren Anmutung sich im Wechsel der Jahreszeiten pittoresk wandelt, den Tableaus aus Simmonds' Vorlage. Geschickt nutzt er das Cinemascope, um in Dialog zu treten mit der grafischen Bündigkeit des Comics, komprimiert im Splitscreen-Verfahren dezent mehrere Handlungselemente in einer Einstellung. Mitunter entschärft er ein wenig den Strich der von Simmonds mit doppelt spitzer Feder gezeichneten Gesellschaftssatire.

»Tamara Drewe« setzt eine schöne Nebenlinie in Frears' Werk fort, die sich zuletzt in »Lady Henderson« präsentiert und »The Queen« offenbarte: eine sehr britische Reflexion über das Verhältnis von Intimität und Öffentlichkeit und die Frage nach dem, was skandalös ist.

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