Sein Bauch gehört ihm
Aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit war er letzthin nie ganz verschwunden, aber dennoch scheint ihm die Zeit reif für ein Comeback. Das ist für ihn kein Widerspruch, er hat ohnehin Erfahrung darin, sich in solche zu verstricken und sie auszuhalten. Oft genug hat er sein enormes Talent bewiesen, sich immer wieder am Schopf aus dem Sumpf zu ziehen und dabei nur noch tiefer hineinzureiten.
Meist fielen seine Einlassungen bisher in die Kategorie des "Je m' en foutisme", der französischen Variante der Wurstigkeit. Warum sollte einer wie Gérard Depardieu denn auch dafür verantwortlich sein, was andere von ihm denken? Nun scheint er den Ehrgeiz zu entwickeln, endgültig zur gallischen Antwort auf F. Scott Fitzgeralds Definition außerordentlicher Intelligenz zu werden: der Fähigkeiten, zwei gegensätzliche Ideen zu verfolgen, ohne dabei den Verstand zu verlieren. Selbstverständlich sei er dick, das sei eine unabweisbare Tatsache, gestand er gerade der Tageszeitung "Le Figaro", um sich sogleich selbst ins Wort zu fallen: "Ich bin nicht dick, sondern lebendig. Ich bin kerngesund. Mein Blut ist ausgezeichnet. Das alles muss jetzt gesagt werden."
Diese Dringlichkeit ist auch dem Umstand geschuldet, dass er in der letzten Woche die Werbetrommel für seinen neuen Film The Valley of Love rühren musste, der bei der Premiere in Cannes gemischt aufgenommen wurde. Dieses Titanenwerk (an dem sich seine Leinwandpartnerin Isabelle Huppert auffallend nicht beteiligte) verrichtete er standesgemäß in seinem eigenen Restaurant in der Pariser Rue du Cherche-midi. Dort empfing er die Presse, um hart mit ihr ins Gericht zu gehen. "Aasgeier" ist die Vokabel, die im Gespräch mit "Le Monde", der er erstmals nach 14 Jahren wieder ein Interview gewährt, am häufigsten fällt. Souverän lässt der Koloss die Gelegenheit verstreichen, sein Bild in der Öffentlichkeit zu korrigieren. die in ihm zuletzt nur den Steuerflüchtling mit falschen Freunden (Wladimir Putin, Sepp Blatter), volltrunkenen Rollerfahrer und Flugpassagier mit unkontrollierbarem Harndrang sah.
Mit Depardieu ergreift nicht einfach ein Schauspieler das Wort, sondern ein gefallenes Symbol. Der Leibesumfang des Darstellers von Obelix und anderen Säulen französischen Selbstverständnisses war stets ein Indikator, wie es um dieses aktuell bestellt war. Im neuen Film stellt er seinen Bauch, wenn man der verzückten Cannes-Berichterstattung etwa der FAZ Glauben schenken will, in vollendeter Pracht aus. Es scheint auch eine seiner besten Leistungen seit Jahren zu sein, was für die Interviews und folglich auch diese kleine Presseschau eher nebensächlich ist. Aktuell schimpft Depardieu über die Unkultur seiner Landsleute, die sich heute so schmutzig wie zur Zeit des Algerienkriegs aufführten. Er habe nie gesagt, er sei Frankreich leid, er würde es nur nicht mehr verstehen; wie im Übrigen ganz Europa. Inständig hofft er, die Prophezeiung eines islamisierten Staates in Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" möge sich bewahrheiten. Mit dem hat er gerade gedreht und findet ihn sehr intelligent, wenn auch einen dubiosen Dandy. An die Einigung eines zerrissenen Frankreich, wie sie Francois Hollande nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" beschwor, glaubt er nicht. Über den Staatspräsidenten will er "Le monde" ansonsten nicht viel sagen, da dies vermutliche die einzige Zeitung sei, die der "Strampler" liest. Im "Figaro" wiederum preist er Putin als einzigen Staatsmann der Gegenwart, der de Gaulle das Wasser reichen könne. Er schimpft über den US-Imperialismus und weicht der Gegenfrage nach dem russischen aus: "Niemand kennt die Russen, Niemand weiß, wie weit Russland und Europa von einander entfernt sind." Der heutigen politischen Klasse fehle das Element der Krankheit, des Leidens, das stets große Politiker auszeichnete; Pompidou und Mitterrand finden in dieser Hinsicht seine Gnade.
Die maßlose Liebe zum Wort, die oft das Unterpfand des Schauspielers und Rezitators Depardieu war, beflügelt ihn auch als Interviewpartner. Gefräßig verschlingt er Ideen und Themen und spuckt sie mit gleicher Inbrunst wieder aus. Aufs Kino kommt er auch zu sprechen, wenngleich nur selten auf den neuen Film. Seine Leinwandpartnerin Isabelle Huppert, mit der er einst immerhin in Der Loulou ein legendäres Paar bildete, ist in seinen Augen eine "Romanfigur", über die sich wenig Vorteilhaftes sagen lässt. Stattdessen macht er seinem Kollegen Vincent Lindon ein vergiftetes Kompliment: "Er ist überrascht, ein Schauspieler zu sein. Das ist großartig. Er versteht es, ein weißes Blatt zu sein. Er revoltiert, während ich das schon hinter mir habe." Gerade hat er mit Benoit Poelvoorde gedreht, von dem er schwärmt, er sei eigentlich gar kein Schauspieler, sondern ein furchtbares, empfindliches Lebewesen, um das man stets Angst habe.
Dabei wäre The Valley of Love wohl ein hervorragender Anlass, Verbindungen zu früheren Rollen herzustellen. Aber Depardieu gehört zu jenem Schlag von Schauspieler, der diese lieber abstreift und ausradiert. Er ist zu sehr mit der Erschaffung seiner späten Legende beschäftigt. Das Spielen gehört für ihn untrennbar zu dem Rausch, als den er sein ganzes Leben begreift. Seine heutigen Rollen werden mithin zu Emanationen seiner Persönlichkeit, er ist darüber hinausgewachsen, unterschiedlichen Charakteren Gestalt zu verleihen. Das ist zwar in gewisser Weise die Definition eines Stars, grenzt sein immenses Ausdrucksspektrum aber fahrlässig ein. Sucht er in Partnern, siehe Poelvoorde, nur noch ein Spiegelbild? Als Darsteller besaß Depardieu einst ja auch einmal so etwas wie Demut. Auch das liegt hinter ihm. Den Verdacht, er würde Drehbücher überhaupt nicht mehr lesen, räumt er nicht einmal aus: "Ich will keine Dialoge mehr lernen, das behindert mein Denken." Beim letzten Film habe er Ohrhörer getragen, die er gern auch bei Interviews aufsetzen würde. Besser nicht. Ein Depardieu, der auf die Stimme der Vernunft hört, fiele allzu sehr aus der Rolle.
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