Kritik zu Un homme qui crie – Ein Mann der schreit
Für »Daratt« erhielt Mahamat-Saleh Haroun 2006 in Venedig den Grand Prix. Auch in seinem neuen Film zeigt er seine vom Bürgerkrieg gezeichnete Heimat, den Tschad
Elegant sieht er aus in seinem blütenweißen Dienstanzug mit Bermudas, Hemd und Basecap, auf dem trotz fortgeschrittenem Alter durchtrainierten dunkelbraunen Körper glitzern Goldkettchen und Metalluhrarmband. Adam, ehemaliger zentralafrikanischer Schwimmchampion, wird von Freunden und Kollegen immer noch Champ genannt, auch wenn er seinen Lebensunterhalt seit langem als Bademeister am Pool eines Luxushotels fristet. Doch auch diesen Dienst übt er von seinem kleinen Klapptisch mit stoischer Würde aus, und für eine kleine Pause auf der Bank im Hof mit Freund und Hotelkoch David Majdi bliebt immer Zeit.
Doch im Tschad tobt nicht nur ein Bürgerkrieg, sondern auch die Globalisierung. Und die neue chinesische Hotelleiterin rationalisiert erst Kollege David weg, dann muss auch Adam den luftigen Dress gegen die beigegraue Uniform des Parkplatzwärters eintauschen: Zeichen krasser Degradierung, noch schlimmer, weil ausgerechnet Adams in seinen Augen unfähiger Sohn Abdel den Posten übernehmen soll und bald höchst erfolgreich ältere weiße Damen mit Wassergymnastik begeistert. Adam, vorher ein bei aller Strenge durchaus liebevoller Vater, ist zunehmend verbittert. Und auch der Bürgerkrieg, im Film erst nur mit Fernsehberichten präsent, rückt näher. Immer dringlicher fordert ein nicht klar zuzuordnender Offizieller von Adam seinen patriotischen Tribut – in Geld oder Manpower. Und der trifft in seiner doppelten Not die fatale Entscheidung, den eigenen Sohn für die Front zu melden. Schon bald wird Abdel abgeholt – und Adam erhält wirklich seinen alten Arbeitsplatz zurück . . .
Was folgt, soll hier nicht wiedergegeben werden, nur so viel: Es fordert Adam das Äußerste ab. Angesichts dieser Schicksalswucht scheint es durchaus angemessen, dass die drei älteren Protagonisten in Mahamat-Saleh Harouns Film biblische Namen tragen. Seine auch fast parabelhaft geradlinige Geschichte erzählt der 1961 in Abéche im Tschad geborene Regisseur (»Bye-Bye Africa«, »Abouna«) in langen, oft unbewegten Einstellungen, die sich auf die in bedächtigem Tempo agierenden Menschen konzentrieren und das dramatische Geschehen eher elliptisch umkreisen als vorantreiben. Auch der Einsatz von Kamerabewegung und Musik ist gezielt und sparsam.
»Durch Distanz kann man vermeiden, dass der Zuschauer zu sehr emotional manipuliert wird«, sagt der Regisseur im Presseheft, ein Statement, das er zumindest inszenatorisch einlöst. Dennoch wird »Un homme qui crie« den an gleicher Stelle genannten filmischen Vorbildern Yasujiro Ozu und Hou Hsia-Hsien nicht ganz gerecht, dafür ist das Skript doch etwas zu eindimensional geraten: Vermutlich ist der Filmemacher zu nah an den von ihm dargestellten Konflikten, um sich befreiende künstlerische Distanz zu verschaffen. Umso deutlicher werden die verhandelten Fragen nach politischer Korruption und persönlicher Moral unter sozialem und ökonomischem Druck. Im Wettbewerb von Cannes, wo »Un homme qui crie« als erster Film aus dem Tschad zu Gast war, erhielt er den Jurypreis.
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