Kritik zu An einem Samstag

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Scheinbar der Film zur aktuellen Stunde: Der russische Drehbuchautor und Regisseur Alexander Mindadze schildert den Tag des Reaktorunfalls von Tschernobyl aus der Sicht der Menschen vor Ort

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Ähnlich wie der Fall der Mauer und der 11. September 2001 gehört auch der Reaktorunfall von Tschernobyl zu jenen Ereignissen, an die sich Menschen – zumindest in Europa – als Teil der eigenen Biografie erinnern. Man erzählt sich bei Gelegenheit noch heute, 25 Jahre später, wo man sich befand, als man davon erfuhr. Die Ereignisse rund um das japanische Atomkraftwerk in Fukushima und die dadurch ausgelösten Ängste liefern nun einen zusätzlich bitteren und dringlichen Anlass zur Erinnerung. Dem Film des russischen Regisseurs und Drehbuchautors Alexander Mindadze, der auf der vergangenen Berlinale im Rahmen des Wettbewerbs seine Weltpremiere feierte, verleiht die in Fernost drohende – oder, je nach Standpunkt, gerade noch mal abgewendete – Katastrophe eine Aktualität, die von bestimmten Erwartungen begleitet wird. Der Blick in die Vergangenheit soll uns etwas über die Gegenwart verraten. Es ist ein Anspruch, der recht alltäglich klingt, einen Film aber auch leicht überfordern kann.

Das Alltägliche ist es denn auch, das Mindadze in seinem Film ins Zentrum stellt. Der Titel »An einem Samstag« (V Subbotu) deutet es an: Der 26. April 1986, der Tag des Reaktorunfalls, war für die Bevölkerung rund um das Atomkraftwerk zunächst ein Samstag wie jeder andere. Ein warmer Frühlingstag, der zum Picknick und zu Spaziergängen im Freien einlud, während die zuständigen sowjetischen Behörden den Vorfall nach außen, insbesondere vor der betroffenen Bevölkerung, leugneten und nach innen offenbar herunterspielten. In diesen ersten 24 Stunden des sträflichen Nichtstuns angesichts steigender radioaktiver Strahlung lässt Mindadze seinen Film spielen. Hauptperson ist der junge Parteifunktionär Valerij (Anton Shagin), der durch Zufall am frühen Morgen des 26. April vor Ort von der Explosion erfährt. Er überzeugt sich mit eigenen Augen vom offen liegenden, glühenden Reaktorkrater, scheint zu begreifen, was vor sich geht, und will fliehen. Aber er kommt nicht weg.

Es sind banale Probleme und Ereignisse, die ihn daran hindern, sich in Sicherheit zu bringen: Er will die Frau, die er liebt, mitnehmen. Doch die muss er erst noch überzeugen. Dann muss diese Vera (Svetlana Smirnova) sich erst noch etwas anziehen, muss packen, und . . . und . . . und . . . , bis ihr schließlich auf dem Weg zum Bahnhof auch noch der Schuhabsatz abbricht. Währenddessen fährt der Zug vor ihrer Nase ab. Dann fällt Vera ein, dass in ihrem Betrieb gerade ein Schuhsonderverkauf stattfindet. Später soll sie außerdem mit einer Band auf einer Hochzeit spielen. Auch Valerij springt dort als Drummer ein. Man trinkt, man streitet sich, in den versöhnlichen Pausen philosophiert man vor sich hin. Der Bräutigam bemerkt den Metallgeschmack in der Luft (wie er später in Berichten der als »Liquidatoren« eingesetzten Soldaten tatsächlich vorkommt), die Braut ist schwanger und spricht träumerisch-ängstlich von der ungewissen Zukunft.

Die für Außenstehende und Nachfahren fast unbegreifliche Trägheit im Angesicht der Strahlenkatastrophe lässt Mindadze mit nervöser Handkamera filmen, die enervierend nah an Personen, ihren Hinterköpfen und Gesichtern klebt. Nur an wenigen Stellen öffnet die Kamera ihren Blickwinkel auf mehr als das unmittelbare Umfeld der entweder von Unwissenheit oder von Unentschlossenheit wie trunkenen Personen. Es ist eine willentliche Begrenzung des Zuschauerhorizonts, die ganz offenbar spiegeln soll, wie wenig vorausschauend und umsichtig die Betroffenen waren. Es ist aber gerade diese Reduktion aufs Persönlich-Atmosphärische, die die Erwartungen jener Zuschauer enttäuscht, die sich von »An einem Samstag« irgendeinen Aufschluss zu den aktuellen Ereignissen erhofft haben.

Man mag sich vor Augen führen, dass es sich bei Mindadzes Film um den ersten russischen Spielfilm zum Thema Tschernobyl handelt und es folglich dem Autor nicht um eine Rekonstruktion der Ereignisse, sondern um das gleichnishafte Bild einer in Stagnation gefangenen Gesellschaft geht, die von oben durch eine starre Herrschaft und von unten durch die Fixierung der Bürger auf persönliche Vorteile gelähmt wird. Es bleibt jedoch eine Systemkritik, die 20 Jahre nach dem Untergang der Sowjetunion und vorm aktuellen Hintergrund leider kaum Durchschlagskraft besitzt.

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