Kritik zu Nicht alles schlucken
Das »Irrenhaus« hat sich überlebt, aber Themen wie Psychosen, Psychopharmaka und Zwangseinweisung werden nach wie vor gern an den Rand geschoben. Der Film von Jana Kalms, Piet Stolz und Sebastian Winkels bricht mit diesem Tabu
Eigentlich dürfte es nicht überraschen, dass ein Dokumentarfilm, der von seelischen Krisen und ihrer Behandlung mit Psychopharmaka handelt, Emotionen auslöst. Und doch ist man als Zuschauer von Nicht alles schlucken am Ende nicht nur berührt im herkömmlichen Sinn, man ist schier überwältigt von den Gefühlen, die hier hör- und sichtbar wurden. Und das, obwohl die in Zusammenarbeit der drei Regisseure Jana Kalms, Piet Stolz und Sebastian Winkels entstandene Dokumentation so betont undramatisch inszeniert ist, wie es nur geht. Das heißt: gegen jede Reality-TV-Sensationslust oder sonstige, auf human interest setzende Fernsehnorm.
Die dem Film Struktur gebende Idee ist ein Raum, in dem gesprochen wird. 20 »Psychiatrie-erfahrene« Menschen, das sind sowohl Psychiatriepatienten als auch Ärzte, Pfleger und Angehörige, haben die Filmemacher in diesen völlig neutral eingerichteten Raum geladen, um vor der Kamera über ihre Erfahrungen zu sprechen. Nicht alle sind gleichzeitig da, nicht immer ist jeder Stuhl besetzt. Die Kamera (Sebastian Winkels, Harald Mellwig) konzentriert sich aber immer auf den jeweiligen Redner. Ihnen wird Zeit gelassen beim Formulieren, Zeit gelassen auch dafür, sich zu sammeln, um die Fassung zu bewahren, wenn sie von ihrem Innersten erzählen oder Dinge in Worte zu fassen versuchen, die schmerzlich sind. Und oft sind ihre Stimmen auch nur aus dem Off zu hören, während sie selbst beim stummen Dasitzen gefilmt werden. Man kann ihnen als Zuschauer deshalb sehr gut zuhören.
Das Zuhören lohnt sich. Anders als der leicht parolenhafte Titel vermuten lässt, geht es nämlich nicht um eine Verteufelung von Psychiatrie und Psychopharmaka oder um andere generalisierende Anklagen. Vielmehr setzt sich aus den Aussagen der Menschen nach und nach ein sehr vielschichtiges Bild dessen zusammen, was psychische Krankheiten sind – und wie sehr sie zum Menschsein gehören –, was sie für den Einzelnen bedeuten und wie in unserer Gesellschaft heute damit umgegangen wird. Es sind oft schreckliche Erfahrungen, um die es geht, und umso wichtiger ist es, dass dies kein Thesenfilm ist, dass nicht das Rechthaben im Vordergrund steht. Viele Patienten erzählen davon, wie schlimm es ist, wenn man in der Psychose sich selbst verliert und dann noch zusätzlich entmenschlicht wird durch Zwangsmedikamentierung oder gar »Fixierung«. Aber es gibt auch den Pfleger, der von seiner Angst vor manchen Patienten berichtet. Und die Ärztin, die es nicht ertragen kann, als »Nazi-Doktor« beschimpft zu werden, wo sie helfen will.
Gerade weil der Film eine so klare wie strenge Form hat, legt er den Blick frei für Zwischentöne, für Ambivalenzen und für die unterdrückten, zurückgehaltenen Gefühle, die dem Gesagten ins Gehege kommen. Die große Lösung hat er nicht zu bieten, dafür manch kleine Utopie darüber, wie ein humanerer Umgang mit psychischen Erkrankungen aussehen könnte. So überwiegen am Ende die guten Gefühle: Als Zuschauer fühlt man sich nicht nur um Einsichten und Kenntnisse bereichert, sondern tatsächlich ein Stück mehr in touch mit dem, was das Menschsein ausmacht.
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