Nahaufnahme von Melissa McCarthy
Eigentlich ist jemand wie sie auf Nebenrollen festgelegt, doch Schauspielerin Melissa McCarthy zeigte spätestens in »BRAUTALARM«, wie man die Dickenklischees ganz unverschämt unterlaufen kann und damit zum Star wird
Ein Trailer zu ihrem Film »Tammy« zeigt Melissa McCarthy, wie sie leibt und lebt: Zu den Klängen des Coolio-Hits »Gangsta's Paradise« steigt sie auf einem dunklen Parkplatz aus dem Auto. Ihre Erscheinung ist trotzig-ungepflegt. In der Hand trägt sie eine Papiertüte, die sie zur Pistole geformt hat. Damit herumfuchtelnd schwingt sie ihren schweren Körper im Rap-Rhythmus über den Parkplatz und übt sich in den klassischen Schießposen des Kinos. Dann betritt sie, maskiert, ein Fast-FoodRestaurant, fordert die beiden einsamen Angestellten zum Stillhalten auf und setzt dazu an, sich mit Anlauf über den Tresen zu schwingen, um zur Kasse zu gelangen. Sie scheitert erst mal. Nur nach mehrfachen Versuchen gelingt es ihr, sich hinüberzurobben. Um ihre »Gangsta«-Pose ist es da längst geschehen.
Melissa McCarthy, wie sie leibt und lebt, damit ist natürlich nicht die Schauspielerin gemeint, sondern ihre Leinwandfigur, die Summe ihrer Rollen. Einen gewichtigen Beitrag zu dieser Summe leistet McCarthys Leib, weswegen sie sich auch schon mal von einem Kritiker als »Nilpferd« beschimpfen lassen musste. Das war erst letztes Jahr, als sie in Voll abgezockt eine ruchlose Identitätsdiebin spielte. Kurz darauf posierte McCarthy für die Zeitschrift »Elle« auf dem Cover – und wurde heftig dafür kritisiert, dass sie ihre füllige Figur in einem locker sitzenden Mantel verberge und damit »nicht ehrlich« sei. Nun, der medialen Körperkontrolle ist nicht zu entkommen. Wer als Schauspielerin schon willentlich einem bestimmten Schönheitsideal nicht entspricht, muss sich gefälligst an andere Regeln wie die der »Vorbildfunktion« halten!
Schließlich legt schon das Rollenfach der »lustigen Dicken« den Rahmen fest. Die Rolle, mit der sich McCarthy zunächst einen Namen machte, entsprach noch einigermaßen den Vorgaben: Als Sookie St. James in der Serie »Gilmore Girls« (2000–2007) ist sie die beste Freundin der Titelheldinnen, ein bisschen Kontrollfreak, ein bisschen Idiotin, aber stets mit goldenem Herzen. So mag der Zuschauer seine Dicken: lieb, nett, appetitlich anzusehen – und in Nebenrollen.
Aus der alternativlos scheinenden Karriere als ewiger »Sidekick« wurde Melissa McCarthy erst erlöst, als Chuck Lorre 2009 sie in seiner neuen Comedyserie besetzte, in der, sensationell, gleich zwei Übergewichtige im Zentrum stehen, »Mike & Molly«. Auch hier musste sich McCarthy erst mal anfeinden lassen, doch die Serie erwies sich als so eingefahren in den ausgetretenen Spuren des Dickenhumors, dass sich die Wogen schnell wieder glätteten. Und außerdem kam kurz darauf »Brautalarm« heraus.
Seinerzeit, im Sommer 2011, galt »Brautalarm« als Hoffnungszeichen für ein neues, weibliches Kino, weil Star Kristen Wiig am Drehbuch mitgeschrieben und mitproduziert hatte. Heute erinnert sich die Mehrheit nur noch an McCarthys Auftritt als Brautjungfer Megan: so hemmungslos direkt, so im Wortsinne unverschämt, so vulgär, dreist und deutlich, dass sie alle aus der Fassung brachte. Megan war sehr viel mehr als nur die »lustige Dicke«; McCarthy vereinte in ihrer Figur gleich mehrere Parodien auf weibliche Außenseiterklischees: Sie war einerseits die unabhängige, »männliche« Frau, dann die verzweifelt Klammernde, vor der die Männer Reißaus nehmen, und zugleich die sexuell forsche Angreiferin, die sich nimmt, was ihr gefällt. Das alles kombiniert mit ihrer Fülle – war zum Schreien komisch.
Für McCarthy kam »Brautalarm« einem Befreiungsschlag gleich. Seither kann sie auch in großen Kinohauptrollen zeigen, wie gut sie es versteht, die Dickenklischees offensiv aufzunehmen, um sie dann mit einer gehörigen Portion von Ungefälligkeit und Rebellion zu unterlaufen. Ihre Identitätsdiebin in »Voll abgezockt«, ihre Straßenpolizisten im Buddymovie »Taffe Mädels« an der Seite von Sandra Bullock – diese Figuren sind nicht länger auf nette Weise dick und lustig. In ihrer schrägen, oft asozialen Unangepasstheit aber liegt so etwas wie ein Befreiungsversprechen: die Utopie, es gäbe eben doch ein Entkommen von der allgegenwärtigen medialen Körperkontrolle.
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