Kritik zu Die Frau die singt
Wie ist Versöhnung in einer Welt aus Hass und Gewalt möglich? Der Kanadier Denis Villeneuve erkundet diese Frage mit einer zwischen Familienthriller und Bürgerkriegsepos changierenden Geschichte
Voller staunenswerter Überraschungen und Wendungen steckt der vielfach ausgezeichnete, für die Kategorie »Bester fremdsprachiger Film« oscarnominierte Incendies (deutscher Titel Die Frau die singt) des jungen kanadischen Filmemachers Denis Villeneuve. Erste Überraschung: Incendies liegt ein Theaterstück (das unter dem Titel »Verbrennungen « auch schon auf deutschen Bühnen gespielt wurde) zugrunde, aber das heißt nun keineswegs, dass sich der Film dialoglastig in wenigen Innenräumen abspielen würde. Im Gegenteil: Er durchquert weite, kontrastreiche Räume, heftet sich seiner Leitfigur Jeanne Marwan (magisch: Mélissa Désormeaux- Poulin) an die Fersen, gewinnt eine beinahe semidokumentarische Qualität physischer Direktheit, lässt Staub, Hitze und eine Atmosphäre immer latenter Gewalt auf der Haut spüren.
Die Geschichte startet in Montréal, wo ein Notar Jeanne und ihrem Zwillingsbruder Simon das Testament ihrer Mutter Nawal (Lubna Azabal) eröffnet. Die Geschwister sollen zwei Briefe überbringen: einen an ihren tot geglaubten Vater, einen an ihren Bruder, von dessen Existenz sie bis dahin gar nicht wussten. Sofort macht sich Jeanne auf den Weg in ein Land des Nahen Ostens, um die Vergangenheit der Mutter zu erkunden. Später werden ihr der Bruder und der Notar folgen. Auf den Spuren der mütterlichen Biografie entdeckt Jeanne Schritt für Schritt einen Lebensweg, wie man ihn sich dornenreicher kaum ausdenken kann: Nawal wird in einer christlichen Familie geboren, von ihr aber verstoßen, weil sie sich fünfzehnjährig in einen palästinensischen Flüchtling verliebt und schwanger wird. Ihr Kind, ein Junge, wird ins Waisenhaus gesteckt, Nawal muss bei einem entfernt lebenden Onkel Unterschlupf suchen.
Den atemlosen Recherchen Jeannes folgend erfahren wir in immer neuen Rückblenden von Nawals Kreuzweg: Sie studiert und gerät zwischen die Fronten eines erbarmungslos ausgetragenen Bürgerkriegs. Die Fronten verlaufen nicht nur zwischen den verschiedenen religiösen Parteien, sondern auch innerhalb von ihnen. Nawal erschießt einen Warlord und landet in einem Frauengefängnis, wo sie gefoltert, vergewaltigt, geschwängert wird. Sie kann entkommen und nach Kanada emigrieren.
Das Nahostland, das Jeanne durchquert, ist nicht näher bezeichnet, aber es lässt sich unschwer als das vom Bürgerkrieg gebeutelte Libanon (gedreht wurde in Jordanien) der Jahre 1975 bis 1990 erkennen. Land eines Bürgerkriegs und Spiegel der Erfahrungen von Wajdi Mouawad, dem Autor des »Incendies«- Theaterstücks. Mouawad wurde 1968 im Libanon als Kind wohlhabender Christen geboren, emigrierte mit der Familie 1977 nach Frankreich, 1983 nach Montréal. Er sagt von seinem Stück: »Es erzählt gar nicht von der Notwendigkeit, seine biografischen Wurzeln kennenzulernen, es ist auch kein Stück über den Krieg. Es ist ein Stück über den Versuch, in einer unmenschlichen Situation seine Versprechen als Mensch zu halten.«
Aus den Annalen unseres Dreißigjährigen Krieges kennen wir die Situation eines Landes, in dem die Parteien die Religion zum Vorwand für ihre Gewaltexzesse nehmen. Ähnlich die Situation dieses Nahostlandes. Warlords herrschen, alle Parteien, Muslime wie Christen, beschaffen sich bei der Religion den ideologischen Vorwand für ihre Massaker. Es entsteht eine Gewaltspirale, die alle Momente von Mitmenschlichkeit unter sich begräbt.
»Mich fasziniert, wovor ich Angst habe«, erklärt Regisseur Denis Villeneuve, der die vielen Fäden der Erzählung geschickt in der Hand hält, mühelos die private mit der »großen « Geschichte verknüpft und den Film als packenden Mix aus Familienthriller, Bürgerkriegsepos und Versöhnungsparabel präsentiert. Die Konstruktion der Nawal-Biografie mag in ihrer Klimax allzu monströs erscheinen, aber die Versöhnungsbotschaft bleibt in jeder Faser sinnfällig. Dass nur die Liebe Versöhnung stiften kann, ist hier keine sonntagsrednerische Floskel, sondern erschließt sich aus einem fulminant geschilderten Durchgang durch die Hölle. Die Hölle – das ist die fundamentalistische, nur mit Ressentiments operierende, gewaltgeile Betonierung von Freund- Feind-Schemata und die sich daraus ergebende Spirale von Hass, Gewalt und Vergeltung.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns