Frank Arnold im Interview mit Daniel Brühl (»Die Augen des Engels«)

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»Daniel Brühl«

Daniel Brühl über »Die Augen des Engels« und die Arbeit mit Michael Winterbottom

Herr Brühl, Sie haben geäußert, in der von Ihnen verkörperten Figur des Filmregisseurs Thomas in »Die Augen des Engels« steckten 20-30 % von Regisseur Michael Winterbottom selber….

Deutlich mehr! Mindestens 50 %! Aber dagegen wehrt er sich. Ich habe mit Barbie Latza Nadeau gesprochen, der Journalistin, auf der die Figur von Kate Beckinsale basiert und von der die Buchvorlage des Films stammt. Sie meinte, die Figur sei eine Mischung aus Winterbottom und dem Drehbuchautor Paul Viragh. Während des Drehs habe ich dann immer mehr von Michael in diesem Thomas gesehen, zumal er mich auch sehr geschickt in eine Richtung gedrängt hat, wo ich auch wieder an meine Abgründe komme und mich in die Nacht stürze. Das macht Michael immer ganz gut. Ansonsten kommuniziert er wenig mit einem und lässt einen im Argen. Er hat auch, wenn er mit einem kommuniziert, einen so komplizierten, vernuschelten Blackburn-Akzent, dass es selbst für Engländer schwierig ist, ihm zu folgen, für mich erst recht. Man musste sich aber vorsehen, weil er dann doch das eine oder andere Wort Deutsch versteht. Wenn Kate Beckinsale, die sehr gut Russisch und auch Deutsch spricht, und ich konspirieren und über den Regisseur lästern wollten, dann hat er das immer fleißig über Kopfhörer mit angehört (weil wir eben einen Sender im Ohr hatten) und hat dann nach zwei Wochen etwas auf Deutsch gesagt, wo uns klar war, jetzt müssen wir uns etwas Neues überlegen.

Man weiß bei ihm auch nicht immer genau, wann die Kamera läuft?

Das ist schon ein Prozess, der ganz erfrischend ist, weil man permanent auf der Hut sein muss: es gibt kein "Action!" und kein "Cut!", irgendwann murmelt er Deinen Namen oder nickt Dir zu, das bedeutet, dass man loslegen soll. Häufig lässt er dann die Dinge auch laufen, wenn sich etwas Interessantes ergibt – auf der Straße ist das meiste dokumentarisch gedreht, also ohne abzusperren. Das ist toll, die letzte Arbeit in der Richtung war bei mir »Das weiße Rauschen«, das liegt immerhin 13 Jahre zurück. Aus einem konventionellen Film kommend, wo man auf eine Marke geht und seine Texte aufsagt, war das erst einmal wieder ungewohnt, sich zu öffnen und so zu arbeiten. Auch die Geschichte an sich, mit all ihren Irrungen und Wirrungen, ist ja wie eine Serpentinenfahrt, wie so vieles in Michaels Filmen - das ist aber auch genau das, was mich gereizt hat. Gerade in letzter Zeit habe ich wieder viele Filme geschaut, vor ein paar Tagen auf einem Langstreckenflug habe ich auch mit einem halben Auge geschaut, was der Nachbar guckt: man hört den Ton nicht, weiß aber genau, was in fünf Minuten passiert. Das war bei Michael nun wirklich nicht der Fall. Ich habe das Drehbuch gelesen und sah, wie viele Ebenen da zusammenkamen. Das lässt einen manchmal irritiert zurück, aber ich war davon sehr angetan, weiß jedoch, das ist nicht jedermanns Sache. Ich habe jedenfalls diese merkwürdige Reise mit ihm sehr genossen. Er sagte im Nachhinein, dass sehr viele Hauptdarsteller kein Wort mehr mit ihm reden wollten – ich kann nur sagen, ich würde dieses Abenteuer mit einem Abstand durchaus noch einmal eingehen.

War das etwas, auf das Sie vorbereitet waren? Wenn Sie seine Filme schätzen, heißt das ja nicht automatisch dass Sie wissen, wie die entstanden sind. Oder hatten Sie schon mal mit jemandem gesprochen, der mit ihm gearbeitet hat?

Ich hatte zum Glück einige Informationen von Andrew Eaton, der »Rush« produzierte und mir dabei früh genug von diesem Projekt erzählte. Er kennt Winterbottom ja sehr gut durch ihre langjährige Partnerschaft in der Produktionsfirma Revolution Films. Er hat mich vorgewarnt über Michaels Besonderheiten. Ich habe mir dann auch ein Interviewbuch besorgt, wodurch ich wusste, worauf ich mich einlasse. Dort stand unter anderem das mit der schweren Verständlichkeit. Als ich feststellte, dass auch die Engländer ihn nicht verstehen, habe ich dann auch aufgehört, das als Makel meinerseits zu sehen, also, dass mein Englisch nicht gut genug sei. Ich finde Winterbottom nach wie vor eine wahnsinnig spannende Figur, ein Tausendsassa, der sich in jedem Genre ausgetobt hat und ganz viel gleichzeitig macht. Ich selber bin nicht so, aber ich kann das nachvollziehen, dass er das braucht als Workaholic.

Mit Ihrer Filmfigur konnten Sie sich sofort anfreunden?

Bei der Lektüre des Drehbuches habe ich mich ertappt, dass ich damals, als der Prozess stattfand, sehr verführbar war: warum klicke ich aus einer Laune heraus auf Links, wenn ich so eine Schlagzeile lese? Was fasziniert einen daran? Ich dachte an die Welt der jungen Studenten, die am Beginn ihres erwachsenen Lebens in die Toskana kommen, dann dieser brutale Mord und das Gesicht, das in den Medien omnipräsent war: kann dieses bildschöne Mädchen dieses Verbrechen begangen haben und wenn ja, warum? Wir haben alle diese CSI-Serien gesehen, wir haben so viele Mittel, alle Verbrechen aufzulösen – wie kann es dann kommen, dass in Italien so ein Mord nicht aufgeklärt werden kann? Das ist so ein gefährliches Halbwissen. So war mir diese Figur des Filmemachers gleich sympathisch. Ein wichtiger Schritt in der Vorbereitung war es, zusammen mit Kate Beckinsale in diese Welt der Journalisten einzutauchen. Barbie lud uns zu einem Essen in Rom ein, wo wir eine Reihe von ihnen trafen. Die gerieten wirklich aneinender in ihrem "dafür" und "dagegen" und konnten das jeweils gut begründen. Da war mir klar, dass man die Wahrheit wohl nie herausfinden würde.

Nach der Drehbuchlektüre gab es dann das entscheidende Gespräch mit dem Regisseur, um festzustellen, ob Sie beide auf derselben Wellenlänge lagen?

Dass es viele Fragen gab, war klar. Ich habe ihm auch gleich gesagt, "Michael, das ist für mich ein Experiment, eine Erfahrung, wo ich als Schauspieler noch weniger als sonst weiß, was am Ende dabei herauskommt." Ich sei ein wenig orientierungslos, aber er würde mich da schon führen. – "Prima, wenn Du orientierungslos bist!" erwiderte er, "je mehr, desto besser!" Das hat sich dann während des Drehs noch gedoppelt, denn die Zeit in der Toskana war die Zeit, wo die Anrufe eingingen, als es um die Filmpreis-Nominierungen für »Rush« ging, Da wechselten dann Euphorie und Enttäuschung. Wenn ich den Film jetzt sehe, kann ich mich genau daran erinnern, wann was war. Michael hat das ganz machiavellistisch genutzt – dass wir nicht wussten, wann die Kamera läuft und die Übergänge vom Realen zur Fiktion fließend sind.

Ihre Figur im Film ist von einer gewissen Heimatlosigkeit gekennzeichnet, aktuell zwischen der Toskana, London und Los Angeles. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Berlin und Barcelona sind zwei Städte, zwischen denen ich gerne hin- und herpendele. Im weiteren Sinne gehört noch New York dazu, weil ich dort Freunde habe. Nach Köln, wo ich geboren wurde, komme ich nicht mehr so oft.

Müssen Sie eigentlich noch vorsprechen für Rollen?

Manchmal. Bei »Rush« gab es ein Gespräch mit Ron Howard, ich dachte, danach geht es los mit der Entscheidung über die Besetzung, aber das war es schon – ich hatte die Rolle.

Demnächst werde wir Sie als Gegenspieler von Captain America in einem der Superhelden-Filme von Marvel sehen…

Dazu darf ich nichts sagen, ich will ja nicht ins Marvel-Gefängnis kommen!

 

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