Interview mit den »German Angst«-Regisseuren

"Der Horrorfilm wurde in Deutschland erfunden"
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»German Angst«

Jörg Buttgereit, Michal Kosakowski und Andreas Marschall über ihren Film »German Angst«

Dass ein Film vorrangig im Home Entertainment-Bereich ausgewertet wird und der Kinostart nur noch werbende Funktion hat, erlebt man immer öfter. Im Fall von German Angst hat es auch mit dem Genre des Horrorfilms zu tun und damit, dass der Film im März bei den Fantasy Film Nights bereits in einer Reihe von Großstädten ein großes Publikum erreicht hat. Dass sich jetzt doch mehr als ein Dutzend Kinos gefunden haben, die den Film zeigen (Verleih: Drop-Out Cinema), spricht für die Kinos.

Am 15. Mai erscheint der Film bei Pierrot le Fou auf DVD und Blu-ray (und wird zudem als Video on Demand angeboten). DVD und Blu-ray haben eine identische Ausstattung: neben dem Film selber ein achtminütiges "Behind the Scenes" mit (stummen) Eindrücken von den Dreharbeiten, sowie den Trailer. Für die Fans gedacht ist das limitierte Mediabook (Auflage: 4.000 Exemplare), das ein 24seitiges Booklet mit einem Essay und einem ausführlichen Interview mit den drei Regisseuren enthält, zudem das Plakat. Es ist aber auch deshalb lohnenswert, weil nur hier der informative Audiokommentar zu hören ist, den die drei Regisseure gemeinsam bestreiten.

Andreas, Jörg, Michal, wie ist die Idee zu Eurem Episodenfilm »German Angst« entstanden?

Andreas Marschall (AM): Ich war mit meinem Film »Masks« auf Festivaltournee und da damals viele Anthologiefilme wie »The ABC's of Death« oder »The Theatre Bizarre« herauskamen, wurde ich wiederholt gefragt, warum es aus Deutschland nichts Entsprechendes gäbe und in diesen Anthologien nie deutsche Regisseure vertreten seien, obwohl wir doch auch Leute wie Jörg Buttgereit hätten. Da ich Jörg sehr lange kenne – ich habe für seinen Film »Hot Love« 1984 zum ersten Mal das Plakat entworfen, dann auch für »Nekromantik« (1 und 2). Da ich damals nicht gerade fürstlich bezahlt worden bin für diese Plakate…

Jörg Buttgereit (JB): ...habe ich mich nicht getraut, "nein" zu sagen! Die Produzenten von »The ABC's of Death« hatten schon bei mir angefragt, aber das waren immer solche Popel-Budgets.

AM: Nachdem Jörg und ich uns einig waren, etwas zusammen zu machen, haben wir uns überlegt, wen wir als Dritten hinzunehmen wollten, dann habe ich beim Festival in Transsylvanien Michal kennen gelernt. Wir haben festgestellt, dass wir beide auf Genrefilme stehen, dann haben wir auch noch gemerkt, dass wir in Berlin im selben Viertel wohnen. Da Michal auch selber Produzent ist, haben wir uns daraufhin geeinigt, dass er den Film produziert. Auf der Berlinale vor zwei Jahren haben wir uns alle drei zum ersten Mal getroffen.

JB: Für mich war vor allem ausschlaggebend, dass Michal sagte, er produziert den Film. Denn das, was ich da bei meinen früheren Filmen immer alles nebenher zu machen hatte, fand ich so nervend. Der Produzent hat mir das Equipment und den Kameramann bereitgestellt, aber die Telefonate musste ich alle selber machen. Ich war der ausführende Produzent, das hat mich oft davon abgehalten, mich auf das zu konzentrieren, was ich eigentlich machen wollte, nämlich Regie zu führen.

AM: »German Angst« ist auch gewachsen, »Alraune« war das erste Drehbuch, das fertig war, und der Film war von Anfang an so aufwändig konzipiert. Das war das Drehbuch, das die Brücke zum deutschen Stummfilmexpressionismus am meisten bedient.

Im Gegensatz zu dieser aufwändigen Episode ist die von Jörg ziemlich spartanisch, nicht nur weil sie reduziert ist auf eine einzige Location.

JB: Dafür war ein sicheres Environment notwendig, so haben wir über der Wohnung des Produzenten gedreht, denn die Hauptdarstellerin ist ja noch jung und durfte deshalb auch nicht bei allen Szenen des Films dabei sein. Während der gewalttätigen Szenen konnte sie dann mit den Töchtern des Produzenten in dessen Wohnung spielen. Sie agiert auch unter anderem Namen. Sie fand das gut, was sie machte, aber das kann sich ja auch in zwei Jahren ändern.

Gab es eine Initialzündung für den Titel? Habt Ihr irgendwann gemerkt, dass alle drei Geschichten mit unserem Land zu tun haben?

AM: Der Titel war meine Idee. Ich hatte das eher ironisch gemeint, ich wollte nicht die deutsche Zögerlichkeit ausdrücken, sondern sagen, das ist die deutsche Version von Angst. Das ist unsere deutsche Art, das darzustellen.

JB: Eigentlich müssten wir ja ein bestimmtes Selbstbewusstsein haben, weil der Horrorfilm in Deutschland erfunden wurde. Für mich war es auch spannend, weil ich parallel dazu in Dortmund Murnaus »Nosferatu« für das Theater bearbeitet habe. Das ging immer hin und her: die deutsche Horrorvergangenheit und die Unmöglichkeit, sich heute normal mit den Stoffen auseinanderzusetzen. Denn es ist ja immer noch so: wenn man erzählt, man macht einen Horrorfilm, dann muss man sich erst einmal rechtfertigen, während das in Amerika ein Teil der Kultur ist.

AM: Die Amerikaner wollen diese Filme ja auch sehen – wenn sie "Germany" hören, denken sie an »Nosferatu« und »Caligari«.

Michal Kosakowski (MK): Da ich aus Polen komme, war es naheliegend für mich, eine Geschichte zu machen, die die polnisch-deutsch-österreichische Vergangenheit aufarbeitet, meine persönlichen Erlebnisse. Ich habe mich eher bezogen auf die deutsche Angst vor den Polen, also einen anderen Blickwinkel.

AM: Michal konnte dieses Thema viel unbefangener, auch viel stärker und viel exploitativer als wir Deutschen angehen. Seine Geschichte ist das absolute Gegenteil von Guido Knopp.

Wie verhielt sich bei diesem Projekt die gemeinsame Arbeit zu der individuellen Vision? Habt Ihr am Anfang gesagt, wir wollen etwas machen zum Begriff "German Angst"? War das die Klammer?

MK: Im Grunde war der Titel da und jeder hat zu dem Thema etwas beigesteuert.

JB: Das war meine Bedingung, daran teilzunehmen: dass wir uns nicht gegenseitig dreinreden. Ich habe nicht mal eure Drehbücher richtig gelesen. Wir haben uns allerdings gegenseitig unterstützt, etwa bei den Making of’s'.

MK: Wir haben schon Vorschläge gemacht.

JB: Michal hat die ersten beiden Episoden geschnitten, Frank Behnke hat bei zwei Episoden den Ton gemacht (bei der dritten fehlte ihm die Zeit), Kameramann, Ausstatter und Komponist waren bei allen drei Filmen identisch.

AM: Auch das Material war dasselbe, Super-8 und RED. Wir sind alle Fans von Super-8, deshalb war uns wichtig, Teile auf diesem Material zu drehen. Gerade in Zeiten des Digitalen war uns das Haptische wichtig.

JB: Ich glaube, meine Filme leben nur vom Filmmaterial. Die Rückblenden in »Final Girl« sind auf Super-8 gedreht. Man bekommt dann allerdings eine Festplatte mit dem Material wieder.

AM: Wir haben das analoge Material abtasten lassen, die ganzen Zwischensequenzen, Traumsequenzen und einige weitere Einstellungen in meiner Episode sind auf analogem Super-8 Material gedreht, abgetastet und digital geschnitten.

JB: Ich mache das noch immer so, ich habe vor einem Jahr einen Videoclip gedreht für eine Berliner Band, in Super-8 und Schwarzweiß, »Stereo Total« auch.

Einige Kritiken haben vermerkt, dass in deiner Episode die Ränder unscharf waren…

JB: Es geht um den hermetischen Kosmos, in dem dieses Mädchen ist. Inspiriert wurde ich von »Upstream Colour«, der 2014 bei der Berlinale und beim Fantasy Film Fest lief und der auch mit dieser Tilt Shift Optik arbeitet – Optiken, mit denen man selbst Totalen so drehen kann, als seien sie ganz kleine Sachen. Man macht Sachen scharf, die unscharf sein müssten. Auf Drängen von Andreas hatten wir beschlossen, den Film in Cinemascope zu machen, was mir ja extrem fern liegt. Das war für meine Geschichte nicht unbedingt von Vorteil, weil es ja um diese Enge geht. Auf der Leinwand fand ich es dann allerdings doch beeindruckend.

AM: Mir kann es nie breit genug sein! Wir haben aber auch versucht, das totale Gegenteil zu machen. Was wir bei den analogen Zwischensequenzen gemacht haben: wir haben versucht, so dreckig wie möglich zu sein und Filmmaterial benutzt, das eigentlich für Dokumentenaufnahmen gedacht ist, also völlig starke Kontraste hat, die das Ganze wie eine schlechte Fotokopie aussehen lassen. Also wir sind in beide Richtungen in die Extreme gegangen. Zudem haben wir Fotoobjektive aus den siebziger Jahren benutzt, Nikon-Objektive, die diese leichte Weichheit haben und einfach analoger aussehen.

MK: Die Rückblende in meiner Episode ist nachträglich so bearbeitet worden, dass sie aussah wie altes Material. Dafür haben wir uns alte Bilder angeschaut von den Agfacolorfilmen der dreißiger und vierziger Jahre.

JB: Man merkt daran auch, dass wir schon ein bisschen älter sind und Filmbilder machen, Zelluloidbilder. Wenn wir aus wirtschaftlichen Gründen digital drehen, nützen wir diese alten Objektive.

AM:…bis hin zu alten Prismalinsen für die Traumsequenzen. Das hätte man alles toll am Computer digital machen können.

JB: Wir haben auf digitale Nachbearbeitung bei Spezialeffekten verzichtet, obwohl wir eine Digitalfirma hatten, die sonst anders arbeitet, etwa bei den Blutspritzern in den »Underworld«-Filmen.

Jörg, Du hast ja einschlägige Erfahrungen mit Beschlagnahmungen und Verboten deiner Filme und auch mit der FSK. Wie lief das hier ab? Der Film wurde bei der ersten Einreichung abgelehnt, aber beim zweiten Mal ungeschnitten ab 18 freigegeben….

MK: Sie hatten Probleme mit der Badewannenszene in »Alraune«.

AM: Bei den ersten beiden Episoden hatten sie wohl weniger Probleme mit der Gewalt, weil die erste sozialkritisch gewertet wurde und die zweite antifaschistisch – damit kann man Gewalt rechtfertigen. Aber sobald Gewalt mit Sexualität in Verbindung gebracht wird, wird das in Deutschland als problematisch angesehen.

MK: Beim Berufungsverfahren hatten sie eine größere Besetzung mit Staatsanwalt und Richter, da ging es mit 6:1 Stimmen durch. Eigentlich dürfen die Begründungen für 18er-Freigaben nicht veröffentlicht werden, trotzdem hat Pierrot le Fou einige Sachen erfahren, das wurde auf filmstarts.de gepostet, die Begründung steht also im Netz, darin heißt es u.a. "Die Botschaft des Films ist eine klare Absage an Gewalt als Konfliktlösungsmittel. Die Gewalt ist dabei nicht selbstzweckhaft inszeniert und für die Gestaltung des Films nicht prägend. Die Protagonisten, die Gewalt anwenden, entwickeln dabei keine Vorbildfunktion…". So etwas sollte man ruhig öffentlich machen. Mit dieser Freigabe kann dem Film nichts mehr passieren. Die FSK macht übrigens keine Schnittauflagen, du musst es selber erneut einreichen, was mit ziemlichen Kosten verbunden ist.

JB: Wahrscheinlich würde sogar mein Film »Nekromantik« heute eine Freigabe bekommen, wenn wir ihn noch einmal einreichen würden – aber das würde ein völlig falsches Signal setzen, denn der läuft ja gerade in Kinos und auf Festivals mit dem Vermerk, dass er eben nicht freigegeben ist.

Sprechen wir über die Finanzierung von »German Angst«. Habt Ihr im Vorfeld je daran gedacht, Euch um Filmförderung zu bemühen?

AM: Das sind immer Sachen mit Beteiligungen von größeren Produktionen. Wir hätten es schon gerne gehabt, aber wir wollten uns nicht im Vorfeld dafür rechtfertigen müssen, was wir machen.

MK: Das war für mich als Produzent auch eine Genugtuung, dass wir es so geschafft haben.

AM: Auch bei meinem letzten Film war es das Momentum, als ich angefangen habe, ihn zu drehen das dazu geführt hat, dass er zustande kam. Ich habe in einer Schauspielschule gedreht, wo die Darsteller das Set selber mit aufgebaut haben. In dem Moment, wo man als Independentfilmer anfängt zu drehen, kommt das Geld herein. Durch die Digitalisierung gibt es eine Inflation von Projekten, aber nur wenige davon werden bis zum Ende durchgezogen.

MK: Ich bin als Produzent auch selber Filmemacher, das kam dem Projekt zugute.

JB: Jeder kommerziell orientierte Produzent hätte viele der Effekte weggelassen.

Statt mit Filmförderung habt Ihr das Projekt dann mit Crowdfunding angeschoben…

AM: Das war schon eine interessante Art zu produzieren. Wir haben angefangen mit Crowdfunding und mit dem dabei akquirierten Betrag haben wir die konzentrierteste Episode gedreht, dann kam als zweite Episode die von Michal, die schon zwei größere locations und zusätzlich auch diese historische Ebene hatte.

MK: Die haben wir gleich nach der Crowdfunding-Kampagne in Polen gedreht, denn die daran zentral beteiligte Reenactment-Gruppe konnte nur im Sommer, weil die Fahrzeuge auch wetterempfindlich sind. Ich drehe übrigens eine Langzeitdokumentation über die. Die arbeiten auch regelmäßig in polnischen Filmen mit.

AM: Mit diesen beiden Episoden war dann auch schon Material da, um es vorzuzeigen, damit konnten neue Investoren ins Boot geholt werden, die letzte Episode war dann wesentlich aufwändiger, dabei wurde aber auch dasselbe Team benutzt. Es wäre allerdings absolut unmöglich gewesen, ihn über Crowdfunding alleine zu finanzieren.

Der Film kommt bereits eine Woche nach seinem Kinostart auf DVD und Blu-ray heraus. War dieses Auswertungsmodell umstritten unter Euch?

JB: Ich fand es auch ketzerisch, aber da Pierrot le Fou den Film schon im Vorfeld gekauft und diesen Termin festgelegt hat, ist dieser Kinostart eher ein Zubrot, weil sie gemerkt haben, da besteht durchaus ein Interesse. Festival und DVD-Start sind das, was für einen Genrefilm heute Standard ist. Aber viele Kinomacher von kleinen Kinos haben mich gefragt, ob sie den Film zeigen könnten. In unserem Genre ist der DVD-Verkauf inzwischen wichtiger als Kino – weil es viel gibt, wird versucht, die Preise zu drücken. Dazu kommt das enge Zeitfenster für illegale Downloads. Früher kamen meine Filme auf VHS heraus und jede Kopie davon war schlechter, d.h. das Original hatte noch einen Wert. Als meine »Captain Berlin vs. Hitler«-DVD erschien, habe ich gesehen, dass sie zwei Tage später im Netz war und man sie überall herunterladen konnte. Das war auch ausschlaggebend für unser Anfangsgespräch. Ich habe gelernt, wenn ich jetzt einen Film produziere, lassen mir meine sogenannten Fans zwei Tage Zeit – das ist unmöglich. Das ist das Risiko, das Michal eingegangen ist.

AM: Unsere Käufer sind Fans, jeder von uns hat seine eigene Fan-Basis, deshalb ist es auch wichtig, dass ein schönes Mediabook herauskommt mit Extramaterial (wie dem Poster). Die Fans wollen wirklich etwas in der Hand haben.

JB: Deswegen ist es auch wichtig, dass man sie beteiligt und fragt: welches Plakat hättet Ihr denn gern auf dem Cover? So kommt dort jetzt das Original von Herrn Marschall zu Ehren und nicht das gedrittelte Plakat, das der Verleih entwarf. Das hat Pierrot le Fou über die Website des Films abstimmen lassen.

MK: Der Film wird von Pierrot le Fou auch in den VoD-Diensten angeboten, das ist auch eine wichtige Einnahmequelle.

AM: Vielleicht sind solche Exotenfilme die Zukunft des unabhängigen Films, nicht solche, die versuchen, auf einen Trend aufzuspringen wie Slasher oder Found Footage, die eben kein Alleinstellungsmerkmal haben, während die unabhängigen Filme noch Nischen finden.

Meinung zum Thema

Kommentare

"... war es naheliegend für mich, eine Geschichte zu machen, die [put something of social proportions here] aufarbeitet..."

Und die Franzosen und Schweden und Angelsachsen und der Rest der Welt hoerten das, drehten sich um und machten weiter ihre unbedeutenden, international erfolgreichen Filmchen.

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