Kritik zu Draussen ist Sommer
Vom Neuanfang einer jungen Familie: In ihrem zweiten, abendfüllenden Spielfilm spürt Friederike Jehn mit dokumentarischer Sachlichkeit und flüchtiger Poesie familiären Krisenherden nach
Man kennt diese Szenen des Neuanfangs, in denen eine Familie im vollgestopften Auto bei einer neuen, ungewissen Zukunft vorfährt, die Erwachsenen zuversichtlich, die Kinder missmutig. Pubertierende Kinder sind ja generell gegen solche Aktionen, aber hier ist es mehr. Von Anfang an liegt eine merkwürdige Stimmung in den Begegnungen der Familienmitglieder, in der Art, wie sie sich verstohlen beobachten und wachsam belauschen, und die aufmunternden Sprüche des Vaters, dieses »Wir schaffen das schon!« und »Du wirst sehen, das wird ein wunderbarer Sommer!«, sind einen Hauch zu affirmativ geraten, fast so, als würde er vor allem sich selbst Mut zusprechen und nicht den Kindern, ein wenig wie die Durchhaltefloskeln für einen todgeweihten Kranken.
Schon mit ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm »Weitertanzen« hat Friederike Jehn, Absolventin der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg, den Schwingungen familiärer Eruptionen nachgespürt, auf einer Hochzeit, die sich gegen die üblichen Glücksversprechen sperrt. Auch hier erzählt sie aus der Perspektive einer jungen Frau, Wanda, die mit ihrem Coming-of-Age und der Eingewöhnung am neuen Standort eigentlich schon genug zu tun hätte, mit den üblichen Schwierigkeiten mit dem Zickenclub an der neuen Schule und den ersten linkischen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht. Dazu kommen noch ihre Sorgen um den Zustand der Familie. Immer wieder versucht sie mit seismographischem Blick den Status der elterlichen Beziehung zu ergründen, immer zugleich genaue Beobachterin und entschlossene Vermittlerin. Wenn sie die Nachbarn mit ihrem roten Fernglas beobachtet, synchronisiert sie die stummen Gesten mit Heile-Familie-Dialogen. In ihrer Sehnsucht schwingt schon die Ernüchterung mit, die Ahnung, dass es meistens nicht so harmonisch läuft. Ihr kleiner Bruder Bubi ist das Barometer der Familienkrise, er spricht gar nicht, isst nur wenig, und hat auch noch kahle Stellen am Kopf, ein guter Vorwand für die Mutter, sich ganz aus dem Alltag auszuklinken. Nicolette Krebitz, die sich in die Arme ihres jüngsten Kindes flüchtet, wirkt hier selbst noch wie ein Kind, ganz mädchenhaft und verloren, völlig überfordert und auf destruktive Weise misstrauisch. Es dauert eine Weile, bis das diffuse Problem fassbar wird, die Familie ist aus Stuttgart in die Schweizer Kleinstadt gezogen, um die Geliebte des Mannes zurückzulassen. Doch ihren Gefühlsballast haben sie mitgenommen, die Leichtigkeit des Sommers, sie ist woanders.
Die luftige, und doch sehr genaue Art, wie Friederike Jehn diesen Menschen ihre Gefühle ablauscht, hat etwas fast Dokumentarisches, wären da nicht immer wieder diese flüchtigen Momente, in denen sich eine leise Poesie ausbreitet: ein Tagtraum, in dem die Älteste auf der Wiese vor der Schule ihre beiden Eltern in den flatternden Stoffbahnen eines Ballons sieht, in denen sie sich erbittert streiten; ein Swimmingpool, in dem lauter Couponbilder für ein Cornflakes-Preisausschreiben schwimmen, in dem man einen Ballonflug gewinnen kann; das Flattern der Ballonseide, die bunten Farben, der Traum von der Schwerelosigkeit, der Wunsch abzuheben.
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