Kritik zu Day Is Done
Mit über Jahrzehnte hinweg gesammeltem Material von Kamera und Anrufbeantworter erschafft der Schweizer Thomas Imbach ein betörendes Filmessay über Zeit und Alltagsleben
Für den Schreibtischarbeiter geht vom Blick aus dem Fenster stets ein besonderer Reiz aus: Wie oft würde man sich lieber der Welt da draußen widmen, sich an die Beobachtung der anderen verlieren, statt sich auf die eigenen Aufgabe zu konzentrieren!
Der Schweizer Regisseur Thomas Imbach (Ghetto, Happiness Is a Warm Gun, Lenz) hat diesem Impuls gewissermaßen über 15 Jahre hinweg nachgegeben. Was als Herumexperimentieren mit einer 34-mm-Kamera begann, wird als Langzeitstudie zum Filmessay. Wieder und wieder hat Imbach die Aussicht aus seinem Zürcher Atelier gefilmt – mit wechselndem Fokus. In prächtigen Panoramaaufnahmen sehen wir die Skyline, die in den ersten Jahren in der Ferne von einem Schornstein und in der Nähe von Gleisgelände und fahrenden Zügen bestimmt wird. Mit dem Zoom hat Imbach aber auch immer wieder das nahe Güterbahngelände mit seinen in Büros und Ateliers umgewandelten Lagerrampen in den Blick genommen.
Der Himmel wechselt seine Farben, Wolken ziehen vorüber, sonnige Tage werden von solchen mit Schneefall abgelöst, und wieder und wieder sehen wir eine junge Frau mit Sonnenbrille an den früheren Güterhallen vorbei zuerst von links nach rechts und dann, oft mit einer Zeitung unterm Arm, von rechts nach links laufen. Lange verändert sich außer Wind und Wetter nichts an der Aussicht, dann wird irgendwann ein Hochhaus gebaut, ein echter Wolkenkratzer, der von da an die Skyline neu ausrichtet. Es ist ungeheuer dramatisch. Wer glaubt, dass daraus kein Film wird, sieht sich schnell eines Besseren belehrt: Die Bilder entwickeln einen eigenartigen Sog, der uns, die Zuschauer, augenblicklich in eine Meditation über das Leben, die Stadt und den Zeitenlauf im Allgemeinen versetzt.
Auf der Tonebene wird dieser Bilderstrom von Anrufbeantworteraufnahmen begleitet, die Imbach über fast 25 Jahre hinweg gesammelt hat. Und auch hier ergibt sich aus der Aneinanderreihung des scheinbar Bedeutungslosen sehr schnell eine Erzählung, die von beruflichen Erfolgen und privaten Niederlagen handelt, von auseinandergehenden und neuen Beziehungen, dem Tod eines Vaters und der Geburt und dem Aufwachsen eines Kindes.
Erstaunlich ist, dass obwohl Imbach hier tatsächlich sein privates Material verwendet, derjenige, dessen Abwesenheit auf dem Anrufbeantworter mal mehr oder weniger vorwurfsvoll beklagt wird, sich für den Zuschauer dabei zur völlig fiktiven Figur entwickelt. So konkret man etwa die Anschuldigungen der Freundin, er würde sich nicht genug um seinen Sohn kümmern, versteht, so vage bleibt dabei doch stets der Kontext. Und diese Vagheit, die die lockere Verknüpfung mit den Aufnahmen aus dem Fenster noch unterstreicht, wird schließlich zum wunderbaren Freiraum für den Zuschauer: Er erlebt sich hier als der eigentliche Erzähler, der die Bruchstücke zu einer »sinnvollen« Narration zusammensetzt, die letztlich mehr mit ihm selbst als dem Regisseur und Autor Thomas Imbach zu tun hat.
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