Kritik zu Abendland

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Europa bei Nacht: Nikolaus Geyrhalter (Unser täglich Brot) sieht sich bei nachtaktiven Gestalten des Kontinents um und entwirft dabei ein dokumentarisches Mosaik unserer Zeit

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Ein Nachtlichtkameraüberwachungswagen an der Schengen-Außengrenze; ein Megabierzelt in Bayern; eine Leitzentrale der Londoner Videoüberwachung mit Hunderten von Monitoren, an denen Männer mit dem Joystick potenziellen »trouble makers« hinterherzoomen; ein Fernsehstudio, in dem sich die Moderatoren mit ihren Berichten über Flüchtlingskinder, neueste Burberry-Mode und das Wetter in der Technik aufzulösen scheinen; eine Papstaudienz; ein Studio, in dem Polizisten Einsatzsituationen in einer virtuellen Inszenierung durchspielen – mit von lebendigen Darstellern gemimten Übeltätern.

Großartige Bilder, Orte, die faszinieren – wie auch die meisten anderen der insgesamt vielleicht zwanzig Stationen im jüngsten Film steht. Dabei ist der plakative Titelbegriff hier gleich mehrfach besetzt und evoziert neben der metaphorischen Dämmerung auch die ganz reale Nacht, in der fast alle Szenen spielen. Manche davon, wie das Bierzelt und ein Rave, sind massenhaft frequentiert, andere der Öffentlichkeit verborgen.

Verstehen lässt sich das Ganze als Abgesang auf eine Weltregion, die sich selbst immer noch als Inbegriff der Zivilisation begreift, doch zwischen Hightech, Paranoia und Kontrollwahn erstarrt ist: So sehr, dass ihre Bewohner sich auch zur Freizeit nur in tumbekstatische Verdrängung flüchten, wie ein langer Gang durch einen Mega-Rave am Ende nahelegt. Verbalen Kommentar gibt es auch diesmal nicht, doch der Film zeigt, dass das nicht größere Offenheit bedeuten muss. Man kann dem Zuschauer die Botschaft auch durch Motivauswahl und Montage aufdrängen. Zusätzlich sind die einzelnen Szenen und Orte für sich zu kurz, als dass sich eigene Bedeutung aus ihnen entfalten könnte.

Faszinierend ist die neue computergenerierte Art der Umgehung des Persönlichkeitsschutzes, die Geyrhalter anwendet: In einer Szene rund um das Oktoberfest hat der Filmemacher die Gesichter der Alkoholopfer mit Mitteln digitaler Bildverarbeitung zur Unkenntlichkeit vermorpht und umgemodelt, auch wenn sie für den Zuschauer noch ganz intakt aussehen. Wie Geyrhalter dazu sagte, sei das für ihn eine großartige Möglichkeit, Persönlichkeitsrechte zu wahren und dennoch authentisch zu bleiben: Ein bizarrer Begriff von Authentizität ist das schon, und für all die, die sich der Illusion hingeben, im Dokumentarfilm noch echten Menschen zu begegnen, ein unheimliches Aha-Erlebnis. Vermutlich ungewollt passt solche Enteignung des Körperbildes perfekt zum Sujet des Films.

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