Die Verlorenen
»They’re shooting at us!«, schrie in "Black Hawk Down" ein Soldat überrascht. Das war 2001, in Somalia. Inzwischen sind die westlichen Staaten, auch Deutschland, überall auf der Welt in begrenzte, unübersichtliche, schmutzige Kriege verwickelt. Und das Kino reagiert darauf – allein in diesem Monat starten bei uns drei Filme zum Thema
Wenn wir derzeit im Kino etwas lernen können, dann ist es dies: dass es die verbindlichen Werte, die staatliche und gesellschaftliche Institutionen mit den einzelnen Menschen verbinden, nicht mehr gibt. Der klassische Film und seine Genres bis hin zum Kriegsfilm bearbeitete diese Widersprüche und brachte sie, manchmal auf Umwegen, manchmal »mit Gewalt« zu einem Ende. Das zeitgenössische Kino aber muss auf den Umstand reagieren, dass es für grundlegende moralische Konflikte einfach keine Lösungen mehr gibt. Das kann geschehen in Form eines lustvollen Versinkens im Chaos, in den endlosen Kreisen der Serialisierung, wo jede Konfliktlösung immer nur Aufschub, nur Zeitgewinn ist, oder durch die nostalgische Rückkehr in vormoderne Welten. Zuweilen aber stellen sich das Kino oder mediale Ableitungen von der TV-Serie bis zum Computerspiel auch dem Dilemma der Unlösbarkeit.
Wenn zum Vietnamkrieg zumindest die Legende entwickelt wurde, er sei nicht zuletzt durch die »wahren« Bilder, die das Fernsehen lieferte (und vielleicht nebenbei: die Unfähigkeit der populären Mythologie, eine entsprechende positive und heroische Ikonographie zu entwickeln), beendet worden, so war spätestens mit dem Golfkrieg einigermaßen klar, dass die gezielte Bilderzeugung in den Medien zur Maske eines sonst unsichtbaren Krieges werden konnte. Und das Medium produzierte von den darauf folgenden Kriegsschauplätzen verschwimmende, beinahe inhaltslose Bilder. Ein Zustand ist erreicht, in dem »die Bilder ihre Beweiskraft verloren haben. Wie süchtig sitzen wir vor dem Fernseher und schauen ratlos dem paradoxen Strom der Bilder eines bilderlosen Krieges zu. Afghanistan ist, wie der Irak (...), wie der Kosovo (...), ein schwarzes Loch. Was dort geschieht, erfahren wir nicht aus den CNN-Bildern, und doch können wir unseren Blick nicht abwenden« (Stefan Reinecke). Immer richtet sich die Hoffnung aufs Kino, hier könnten die Bilder noch einmal wahrhaftig werden, hier könnten sie noch einmal eine Ordnung finden.
Wer sind die Guten, wer die Bösen?
Zu viele Bilder und zu wenige zugleich. Die aktuellen asynchronen und unübersichtlichen Kriege und Bürgerkriege entstellen neben den Körpern und den Träumen auch die Koordinaten der Wahrnehmung, die Zeit, den Raum, das Subjekt. Nicht einmal der klassische Gegensatz zwischen dem pazifistischen und dem bellizistischen Standpunkt kann dieses Dilemma für den Bewohner der westlichen Zentren abbilden. Wenn Menschen geknechtet, gefoltert, ermordet werden, muss man da nicht eingreifen? Doch mit welchem Recht, mit welcher Moral, mit welchen Zielen tut man es? Macht man nicht alles nur schlimmer? Ist denn der moralischen Rhetorik, den Interessen der Eingreifenden zu trauen? Und infizieren sich die Eingreifenden nicht immer wieder so schrecklich am Objekt des Eingriffs? Friedenspolitik, gewiss, Friedenspolitik sähe anders aus. Aber Friedenspolitik ist nicht zu erwarten von einer Welt, in der es am Ende immer um die Ökonomie geht. Und um die Macht.
Das Kino kann die Frage, wer die Guten sind, schon lange nicht mehr als eine Gleichung zwischen story und history beantworten. Also müssen die einzelnen Menschen, im Krieg zumal, die Last der moralischen Entscheidungen tragen. Nur selten erreichen uns Geschichten und Bilder von Menschen, die eine »richtige« moralische Entscheidung trafen, möglicherweise gegen Befehle, gegen Schweigebote, gegen politische Interessen. Was uns stattdessen im Übermaß erreicht, neben den Schreckensbildern von Zerstörung und Leid, das sind die Geschichten und Bilder von jenen, die als Menschen auf der ganzen Linie versagen, die foltern, töten und vergewaltigen und für die der Krieg ein Mordsspaß ist. Oder eine Entschuldigung.
Es gibt drei verbreitete Möglichkeiten, mit denen das Kino auf die Trugbilder und moralischen Fallen der Einsätze in den neuen Kriegen reagiert: erstens die, wenn auch hier und da gebrochene, Fortsetzung der »Männerfantasien« vom Krieg; zweitens die verfremdete Darstellung von Gewalt und Groteske, manchmal sogar im Umweg über eine grafische Bearbeitung wie in Ari Folmans autobiografischer Comicgeschichte Waltz with Bashir; und schließlich das morality play, das sich den politischen wie den persönlichen Widersprüchen zu stellen versucht. In all diesen Sparten gibt es derzeit Beispiele zu sehen.
Kein Mann wird zurückgelassen
Eine Männerfantasie par excellence ist Peter Bergs Lone Survivor, entstanden nach dem Tatsachenbericht des SEAL-Manns Marcus Luttrell, der eine Ode an den militärischen Elitegedanken im Allgemeinen und die Führungsqualitäten des Helden im Besonderen darstellt. Die Geschichte entstammt dem Lehrbuch des reduzierten Actionfilms: Vier Mann der SEAL-Einheiten – für »Sea, Air and Land« –, angeführt von Marcus Luttrell (Mark Wahlberg), werden am 28. Juni 2005 ausgesandt, um einen Taliban-Anführer zu »neutralisieren«, das heißt zu fangen oder doch gleich umzubringen. Wie es so geht, entpuppt sich die zunächst einfach scheinende Mission als fatal; erst merken die Soldaten, dass sie es mit einer Übermacht an Feinden zu tun haben, und dann werden sie von Ziegenhirten aus dem Dorf entdeckt, einem Mann und zwei Jungen. Was tun? Man diskutiert, es wird entschieden, die Einheimischen freizulassen. Beim Weg zurück geraten die vier Soldaten in einen Hinterhalt. Drei sterben, Luttrell überlebt schwer verletzt, weil wiederum Afghanen ihn aufnehmen und beschützen.
Auf der diskursiven Ebene geht es um eine Reihe von moralischen Entscheidungen. Wie soll man den mehr oder weniger unschuldigen anderen behandeln, wenn man weiß, dass seine Freilassung zur Gefahr für die eigenen Leute wird? Wie ist es mit dem Gebot, niemanden zurückzulassen? Indes: Wenn man die Konnotationen und Dialoge aus diesem Film wegnehmen würde, dann wäre es ein Essay über den Männerkörper, über seine Entblößung und Verwundung. Der Körper des Feindes entspricht einem gänzlich anderen Bild. Eine kritische Analyse wird in den Splatter-Effekten von Lone Survivor Elemente der Passion, der Erlösung und der Wiedergeburt entdecken. Und einmal mehr scheint der Krieg, nicht trotz sondern gerade wegen seiner Unübersichtlichkeit, ein Spiegel für den narzisstischen Mann, der in diesem Film ganz buchstäblich auf einen tiefen Fall reagiert; die verlorene Einheit von Subjekt und Struktur im Krieg wird auf diese Weise gleichsam religiös restauriert (den amerikanischen Kritikern fiel eine Verwandtschaft zwischen Lone Survivor und Mel Gibsons sadomasochistischem Film Die Passion Christi auf).
Dieses Bild des Krieges ist hier so extrem, dass es offensichtlich nur vollkommene Hingabe oder radikale Ablehnung erlaubt. Es setzt, nicht nur in den visuellen Effekten, Filme wie Black Hawk Down oder Zero Dark Thirty fort. Legitimation wird aus der Aktion selber gezogen, einen Zweifel an der militärischen Organisation gibt es nicht. Die SEALS und ihre Zurichtung des Männerkörpers sind nicht so sehr die Antwort auf den Angriff der Feinde; sie sind die Antwort auf die Unordnung der Welt.
Der V-Effekt
Ein Beispiel für die Strategie der Verfremdung ist My Sweet Pepper Land, der neue Film von Hiner Saleem (Vodka Lemon). Während Lone Survivor innere Konstruktionen des amerikanischen Westerns übernimmt, zitiert dieser Film, mit ganz anderen Absichten, Situationen und Bilder des Italowesterns. Von der ersten Szene an, einer missglückten Hinrichtung im »befreiten« kurdischen Gebiet nach Saddams Tod, herrscht der Ton einer depressiven Groteske.
Baran, zurückhaltend, fast ausdruckslos dargestellt von Korkmaz Arslan, ist ein Held des Unabhängigkeitskrieges. Er lässt sich als Polizist in einem kleinen Dorf in der Grenzregion zwischem dem Irak, dem Iran und der Türkei stationieren, wo man hauptsächlich vom Drogen- und Medikamentenschmuggel lebt und wo der korrupte und korrumpierende Clanchef Aga Azzi das Sagen hat. Ein unwirkliches Land zwischen den Zeiten und den Nationen ist da entstanden, in dem der Held gegen die Willkürherrschaft eines lokalen Machthabers antreten muss. Auch eine Liebesgeschichte gibt es, zwischen Baran und der Lehrerin des Ortes, Govend (Golshifteh Farahani), die von den Dorfbewohnern als Außenseiterin abgelehnt wird – weil sie nicht verheiratet ist und weil sie die Hoffnung auf eine zivile und rechtsstaatliche kurdische Nation nicht aufgegeben hat.
Es ist gerade diese Brechung durch Genrebilder, durch Humor, durch Fantasie, die My Sweet Pepper Land jenen diskursiven Raum eröffnet, den ein Film wie Lone Survivor so fundamental und unter Einsatz aller Kinomaschinerien schließt. Hiner Saleem nutzt eine fast schon tarantinoeske Aneignung von Genremodellen, um dezidierte Statements abzugeben. Und überdies kann er die verletzte Schönheit seines Landes zeigen.
Unlösbare moralische Probleme
Das dritte Beispiel ist sicher das mit dem größten Diskussionspotential. Denn hier erscheinen die moralischen Entscheidungen weder rauschhaft aufgelöst noch theatralisch verfremdet: Es geht in Zwischen Welten von Feo Aladag um einen deutschen Soldaten (Ronald Zehrfeld), der sich zum Einsatz in Afghanistan meldet, obwohl sein Bruder hier das Leben verloren hat. Sein Trupp soll ein Dorf gegen Angriffe der Taliban verteidigen, wobei dem jungen Dolmetscher Tarik (Mohamad Mohsen) die Aufgabe zukommt, nicht nur in der Sprache zwischen den Kulturen zu vermitteln. Dass Freundschaft zwischen ihnen entsteht, ist weniger Hoffnungsschimmer als vielmehr ein Konfliktpotential, das sich durch die Entscheidung des Helden zuspitzt, sich gegen den Befehl seiner Vorgesetzten an der Rettung von Tariks Schwester zu beteiligen.
So unterschiedlich diese drei Filme auch sein mögen, sie ähneln einander darin, dass sie einen, wenn auch nicht leicht zu identifizierenden, Feind (re-)konstruieren, und darin, dass die Lösung der Konflikte nie in der Struktur, immer nur im Einzelnen liegen kann. Die Bühne solcher Kriege betritt man sozusagen von der Seite her. Man kann in solche Kriege nicht mehr ziehen, um der guten Sache zum Sieg zu verhelfen – man zieht in den Krieg, um Schuld auf sich zu laden. Die meisten tun das natürlich, ohne es zu wollen.
Nur wenige Filme gehen darauf ein, dass die moralischen Fallen, in die man in den neuen Kriegen geraten muss, vor allem von der eigenen Seite gestellt werden. Der spanische Film Invasor (Invader, 2012, Daniel Calparsoro) erzählt von einem solchen Schulddilemma. Da geht es nicht um Soldaten, sondern um Ärzte im humanitären Einsatz: Pablo und Diego geraten bei ihrem freiwilligen Dienst im Irak zwischen die Fronten und dabei so in Panik, dass sie das Feuer auf eine unschuldige Bauernfamilie eröffnen. Das passt ganz und gar nicht ins politische Bild. Daher versuchen die Politiker, die Geschichte zu vertuschen, indem sie die Bauern zu Terroristen erklären. Die Ärzte werden so unter Druck gesetzt, dass sie es nicht wagen können, die Wahrheit zu sagen. Aber Pablo kann mit der Lüge nicht leben; er und seine Familie drohen unter der verdrängten Schuld zu zerbrechen, und er will sich zu seiner Tat bekennen, wodurch er für die staatlichen und andere Instanzen selbst zum Feind wird. Das Dilemma, das sich im Krieg gezeigt hat, ist in Wahrheit eines der eigenen Kultur. Und der Impuls zu helfen verkehrt sich in sein Gegenteil.
Die neue Unübersichtlichkeit
Aber auch in den USA entstanden keineswegs nur superpatriotische Actionfilme. In Before the War – Allegiance (2012, Michael Connors) etwa wird gezeigt, wie bei Präsident Bushs Strategie, die Nationalgarde im Krieg in Irak einzusetzen, Rasse und Familie darüber entscheiden, wer verheizt wird und wer nicht. Immerhin dürfen wir, wiederum, auf die persönliche Entscheidung für den Deserteur und gegen die Struktur hoffen. Und auch was das Engagement Deutschlands anbelangt, stehen einem Film wie Schutzengel (2012) – Til Schweiger als Regisseur und Hauptdarsteller versucht sich an einer Art mythischer Ehrenrettung der deutschen KSK-Soldaten in Afghanistan – etwas kritischere Beispiele wie der TV-Film »Auslandseinsatz« (2012, Regie Till Endemann) gegenüber. Da geht es um den Einsatz von 80 deutschen Soldaten in der Nähe von Faizabad. Drei von ihnen, der junge Oberfeldwebel Gerber (Max Riemelt), sein Freund Ronnie Klein (Hanno Koffler) und der in Kabul geborene Stabsunteroffizier Emal (Omar El-Saeidi), befinden sich in dem Bergdorf Milanh, wo sie zusammen mit dem Bürgermeister (Vedat Erincini) den Wiederaufbau der Schule bewachen sollen, in der die Entwicklungshelferin Anna (Bernadette Heerwagen) unterrichtet. Aber dann gerät ihr Trupp in einen Hinterhalt, und dabei wird eine Zivilistin getötet, was Gerber psychisch schwer belastet. Immerhin ein wenig wird die Absurdität des Einsatzes zwischen militärischer Aktion und ziviler Hilfe deutlich. Doch offensichtlich haben die Versuche, die Erfahrungen der neuen Kriegseinsätze mit den Mitteln von Genreformeln zu bearbeiten, immer auch eine Dimension des Gespenstischen, insbesondere wenn man sie mit filmischen Essays wie Der Tag des Spatzen (2010, Regie Philip Scheffner) vergleicht, der von zwei Bildern ausgeht: Ein Spatz wird in Holland erschossen. Und ein deutscher Soldat wird in Kabul getötet. Es wird immer schwieriger, die Frage »Was ist Krieg?« zu beantworten, auch mit den Mitteln der Bilder.
Die Kriege, die nicht mehr wirklich erklärt werden können, führen dazu, dass man auch den Zustand »Frieden« nicht mehr wirklich kennt. Und statt um Neuformulierungen des Heldenbildes geht es vielleicht am ehesten darum, jene ganz normalen Menschen zu zeigen, die in den unübersichtlichen Kriegen dieses Jahrhunderts ganz einfach überfordert sind, so wie es Matthias Brandt in Raymond Leys dokumentarischem Fernsehfilm »Eine mörderische Entscheidung – Luftangriff bei Kunduz« (2013) immerhin andeuten kann. Der klassische autonome Held ebenso wie der nicht minder klassische Befehlsempfänger sind, das zeigen die Filme, entweder willentlich oder unfreiwillig, keine Lösungen für das zerbrochene Kriegsbild. Die Tragödien beginnen mit einer eingeschränkten oder fehlgeleiteten Wahrnehmung.
Dieses eingeschränkte Sehen ist sogar Thema wie in Lebanon – Tödliche Mission (2009, Samuel Maoz), entstanden in bemerkenswerter Zusammenarbeit zwischen Libanon, Israel, Deutschland und Frankreich. Der Regisseur verarbeitet seine eigenen Erfahrungen im ersten Libanonkrieg des Juni 1982. Vier junge israelische Soldaten müssen ein Dorf nach Terroristen durchsuchen, doch sie sehen vom Land den Menschen nicht mehr, als durch die Zieleinrichtung ihres Panzers zu erkennen ist. Dann verlieren die vier die Orientierung und den Kontakt zu ihrer Leitstelle. Dies wohl ist, im einfachsten Bild zusammengefasst, der Protagonist des neuen visuellen Kriegsnarrativs: der maschinisierte und isolierte Mensch, verloren im fremden Land, Unrecht erduldend, Unrecht verbreitend. Ihm schwindet das Wissen – und manchmal auch das Gewissen. Er würde gern hassen, aber er weiß nicht wen. Er würde gern vertrauen, aber er weiß nicht wem. Er würde gern hoffen. Aber er weiß nicht mehr auf was.
Zwischen Welten und My Sweet Pepper Land starten am 27. März; Lone Survivor läuft am 20. an
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