Kritik zu Anne liebt Philipp

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The First Cut Is The Deepest: Anne ist zehn und verliebt sich. Romanverfilmung der norgwegischen Regisseurin Anne Sewitsky über die allererste Liebe und den Freundinnenverrat, der damit einhergeht

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Manchmal gibt es Filme, die erst beim zweiten Sehen ihre Wirkung entfalten, Filme, bei denen man erst im wiederholten Betrachten erkennt, welches Potenzial sie bergen. Anne liebt Philipp ist so ein Fall. Zunächst, in einer Pressevorführung im Original mit englischen Untertiteln, war der Zweifel groß: Ein zehnjähriges Mädchen, das sich verliebt und sich deswegen so unkontrolliert verhält? Das gibt’s doch gar nicht. Und die Jungen sind in dem Alter ja auch noch lange nicht so weit, alles ein bisschen an den Haaren herbeigezogen. Und dann lief der Film auf den Lübecker Filmtagen synchronisiert im Kinderprogramm. 500 Schüler und ein paar wenige Erwachsene saßen in der Kongresshalle zusammen – ausverkauftes Haus. Die Stimmung war sogleich gespannt im Saal, denn Anne, ein burschikoses, sehr sympathisches Mädchen, zieht die jungen Zuschauer sofort in ihren Bann. Sie erzählt aus dem Off ihre Geschichte – wie es zur Katastrophe, mit der der Film beginnt, kommen konnte, und sie erklärt uns, wie sie sich in eine so ausweglose Situation gebracht haben kann. Wir erkennen mit ihr, dass es durchaus möglich ist, sich mit zehn Jahren unsterblich zu verlieben, auch wenn man das für sich persönlich immer ausgeschlossen hat. Die Kinder im Saal empfinden es ähnlich und gehen mit Klatschen und – wenn Anne ihre Widersacherin aufs Empfindlichste trifft – Jubelrufen mit.

Der Zuschauer durchlebt die ganze Tragödie. Was es bedeutet, wenn emotionale Gefühlswallungen ein Mädchen treffen, das noch nicht darauf vorbereitet ist. Sie dachte bisher, dass ihre Welt mit ihrer besten Freundin und einer Nachbarschaftsclique, mit der man um die Häuser zieht, immer so bleibt. In Einschüben erfahren wir zudem, warum sie so große Angst vor der Liebe hat: Ihr Bruder erzählt gern die Geschichte aus dem Nachbarhaus, in dem eine unglücklich Verliebte nach ihrem Selbstmord hinter der Tapete eingemauert wurde. Ihr eigener Vater hat den Leichnam dort eingeschlossen, weil er die Schmach nicht ertragen konnte. Diese Mär wird erst ganz am Schluss aufgelöst, aber bis dahin sehen wir in teils gruseligen Bildern, wie dieser Alptraum Anne vorantreibt. So schrecklich grausam kann Liebe sein.

Anne Sewitsky hat den auch bei uns erschienen Roman »Tilla liebt Philipp« der Autorin Vigdis Hjorth spritzig und glaubwürdig inszeniert. Ein Mädchen an der Grenze zum Erwachsenwerden, ein Zustand, den sie zunächst nicht erreichen will. Eine schöne Szene beschreibt das sehr eindrucksvoll, wenn Anne in der Badewanne sitzt und die Mutter ihr die Haare wäscht. Einerseits ist sie hier noch ganz das kleine Mädchen, andererseits aber, wenn die Mutter zweifelt ruft: »Verliebt in deinem Alter, das gibt es nicht«, erwidert Anne sehr reif: »Oh doch, das gibt es.«

Leider ist die Synchronisation nicht so sorgfältig geraten, wie man sich das wünschen würde. Es fehlt die charakteristische Tiefe der Sprecher für die einzelnen Figuren, die manchmal flach und ohne die notwendige Dramatik einfach nur ihre Dialoge aufsagen. Aber dem Filmerlebnis im tobenden Kinosaal tat dies keinen Abbruch.

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