Kritik zu Police, Adjective
Ein Krimi der völlig anderen Art: Corneliu Porumboiu (12:08 East of Bucharest) zeigt rumänische Provinzpolizeiarbeit als Parabel auf Staat, Gesellschaft und Macht
Das dicke Wörterbuch, dessen Definitionen von »Gewissen«, »Recht«, »Moral« und »Polizei« der Polizeichef seinen jungen Mitarbeiter am Ende des Films zur dienstlichen Belehrung verlesen lässt, stammt noch aus Diktaturzeiten. Der Mann selbst vermutlich auch. Der Belehrte ist ein Nachgeborener, ein junger Mann mit Dreitagebart. Beim Rauchen sieht er aus wie der junge Belmondo. Cristi raucht viel, denn er muss viel herumstehen und warten – das ist sein Job. Er ist Polizist im ostrumänischen Vaslui (der Heimatstadt von Regisseur Corneliu Porumboiu) und soll einen Schüler beschatten, den ein Freund als Drogenhändler denunzierte. Cristi kommt der Dienstpflicht unwillig nach, er hält den Jungen für einen harmlosen Kiffer und möchte ihm nicht mit der drohenden Gefängnisstrafe das Leben zerstören. Eigenmächtig weitet er seine Ermittlungen auch auf die Familie des Denunzianten aus.
Um Erwartungen vorzugreifen: Große Ergebnisse zeitigt diese Recherche nicht, auch wenn der Film ganz krimigemäß einige Lockfährten auslegt. Doch die führen ins Nichts – und der Film in die Niederungen gewöhnlicher Provinzpolizeiarbeit. Statt Action ist Warten angesagt, lange Verfolgungsgänge durch öde Straßen und das Herumschachern mit unwilligen Kollegen auf dem heruntergekommenen Revier, um ein paar Personaldaten zu erlangen. Dabei steht Cristi unter Zeitdruck, der Chef wollte eigentlich schon gestern Taten sehen.
In seinem ersten (ebenfalls vielfach preisgekrönten) Spielfilm 12:08 East of Bucharest hatte Porumboiu sich satirisch mit der Konstruktion historischer Wahrheit beschäftigt. Um Weltdeutungen geht es auch hier, wobei die Polizeiarbeit die materielle Basis liefert: Zigarettenstummel, die Cristi vom Boden aufliest. Überprüfung von Autokennzeichen. Die Protokolle, in denen Cristi die Nichtergebnisse seiner Beobachtungen minutiös festhält, sind herrliche Miniaturen komischen Understatements. Doch Porumboius Zweitling hat nicht nur in solch pointierter Darstellung bürokratischer Usancen hochgradig humoristische Momente. Grandios etwa ein Geplänkel zwischen Cristi und Ehefrau Anca, einer Lehrerin, die zum Befremden ihres angetrunkenen Ehemanns noch aus den abgedroschensten Metaphern einer rumänischen Liebesschnulze einen metapoetischen Höhenflug elaborieren kann. Vorher gibt es das Lied mehrmals in voller Länge, während Cristi durch die Tür beim Abendbrot zu sehen ist.
Das ist (bis auf den Abspann) die einzige Musik, da Porumboiu offensichtlich die nüchterne Haltung seines Helden gegenüber ästhetischer Überhöhung teilt. Das sieht oft dokumentarisc aus, ist aber mit großer Präzision konstruiert. Dabei sind ihm die fürs neue rumänischen Kino typischen langen starren Einstellungen nur eine Option (Porumboiu selbst nennt Antonioni und Bresson als Vorbilder) und das Realistische ist immer auf der Kippe zum Surrealen. Schön zeigt das die anfangs erwähnte zentrale Konfrontation Cristis mit Polizeichef und Wörterbuch, die aus einem Dienstgespräch einen vielschichtigen Diskurs über praktische Moral, rumänische Geschichte, Rechtsstaatlichkeit und Macht entfaltet.
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