Kritik zu Arirang
Foltern oder gefoltert werden: Der koreanische Regisseur Kim Ki-duk taucht aus drei Jahren Einsamkeitsexil mit einem völlig selbstgebastelten Dokumentarfilm auf, in dem er erschreckend ehrliche Einblicke in eigene Fehler und Traumata gibt
Arirang handelt von einem erfolgreichen Regisseur, dessen Leben aus den Fuge gerät, nachdem die letzten Dreharbeiten einer Darstellerin fast das Leben gekostet hätten. Diese Erfahrung zwang den Regisseur zu einer radikalen Hinterfragung seiner künstlerischen Prinzipien. Ans Filmemachen ist seitdem nicht mehr zu denken. Er zieht sich von Freunden und Mitmenschen zurück, haust drei Jahre wie ein Hund in einer Hütte ohne Heizung oder Toilette. Seine Depressionen ertränkt er in Alkohol. Doch ganz ist der Filmemacher in ihm noch nicht gestorben. Also fasst er den Entschluss, einen Film über sich selbst zu drehen: in Form eines inneren Dialogs zwischen Mensch und Künstler.
Der Filmemacher, der sich in Arirang derartig therapiert, ist der international renommierte koreanische Regisseur Kim Ki-duk. Arirang ist tatsächlich das erste Lebenszeichen von ihm seit Dream (2008). Damals hätte sich seine Hauptdarstellerin Lee Na-young bei einer Selbstmordszene beinah erhängt. Ein Schock für das Enfant terrible des koreanischen Kinos, dessen eigene Filme nicht gerade zimperlich angelegt sind. Kim Ki-duk verfiel in eine tiefe Depression. Gewalt und gewaltsame Tode spielen in vielen seiner Filme eine zentrale Rolle, aber der Beinahtod einer Schauspielerin, für die er als Regisseur verantwortlich war, zeigte ihm die Grenzen der Kunst auf, die er stets ausgereizt hatte.
Für Fans ist es interessant, den ansonsten eher schweigsamen Regisseur von einer ganz anderen Seite zu erleben. Arirang ist das schonungslose Selbstporträt eines Künstlers am persönlichen Tiefpunkt. Er selbst bezeichnet seinen Film als Mischung aus Dokumentation und Drama. Kim Ki-duk schlüpft in verschiedene Rollen, stellt sein Weltbild mit unbequemen Fragen auf die Probe, ergeht sich in Selbstbezichtigungen, rechnet mit alten Weggefährten und der koreanischen Filmindustrie ab oder beobachtet, schwankend zwischen Amüsement und Bewunderung, sein Alter Ego bei dessen Bekenntnissen vor laufender Kamera. Dabei wird vor keiner intimen Situation haltgemacht: Man sieht Kim Ki-duk in den Wald kacken und in Tränen aufgelöst beim Anblick einer Schlüsselszene aus seinem wohl schönsten Film Frühling, Sommer, Herbst, Winter...und Frühling: Ein junger Mönch bindet sich einen Mühlstein um und besteigt einen Berg. Ähnlich strapaziös fühlt sich auch Kim Ki-duks filmisches Unterfangen an.
Wer mit seinen Filmen weniger vertraut ist, könnte von der Rohheit des Materials schockiert sein. Arirang durchläuft zahllose Gefühlsschwankungen. Meist blickt Kim Ki-duk dabei frontal in die Kamera, als wolle er den Zuschauer in seine Tour de Force hineinziehen. Das Volkslied Arirang, das dem Film seinen Titel leiht, dient als Leitmotiv für seine Trauer. Doch je öfter er es anstimmt, desto wütender und verzweifelter wirkt er; schließlich schreit er es fast hinaus. Wie nicht anders zu erwarten, verspricht Arirang keine Erlösung; Kim Ki-duk steigert sich regelrecht in eine Raserei. Am Ende schraubt er eine Waffe zusammen und steigt ins Auto. Selbst unter Kim Ki-duks radikalen Filmen nimmt Arirang eine Sonderstellung ein. Kompromissloser ist der Regisseur nie gewesen.
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