Kritik zu Small Town Murder Songs
Von wegen Kleinstadtmordlieder: In seinem zweiten Spielfilm siedelt der Kanadier Ed Gass-Donnelly einen Krimiplot in einer mennonitischen Gemeinde Ontarios an und macht daraus eine düstere Ballade
Der Mensch werde sich nie ändern. Er könne lediglich versuchen, seine Impulse zu unterdrücken. Die Worte des Priesters legen sich über Small Town Murder Songs wie die ewigen Dunstschleier über den Handlungsort Greyforts, eine kleine mennonitische Gemeinde irgendwo im kanadischen Ontario. Veränderung ist unmöglich. Gottes Geschenk an die Menschen besteht einzig in dem freien Willen, Gutes zu tun. Diese religiöse Einsicht ist Walter (Peter Stormare) Menetekel und Folter zugleich. Er hat dem Glauben seiner Gemeinde den Rücken gekehrt, nachdem die Familie ihn verstoßen hat – aus einem Grund, den man erst nach und nach erfährt. Bis zur Vergebung ist es ein weiter Weg. Eine der ersten Einstellungen zeigt Walter bei einer Taufzeremonie. Als sein Kopf wieder aus dem Wasser auftaucht, ist er für einen Augenblick ein neuer Mensch: eine unsichtbare Kraft scheint von seinem Körper Besitz zu ergreifen, sein Gesicht strahlt – das einzige Mal im Film, wie man später realisiert – Freude und Hoffnung aus. Der Eindruck hält nicht lange vor. Ein totes Mädchen ist in einem Waldstück entdeckt worden, und es liegt in Walters Verantwortung als Sheriff, den Mörder zu überführen.
Small Town Murder Songs erzählt mit der Lakonie der Coen-Brüder und der metaphysischen Schwere Terrence Malicks von Schuld und unterdrückter Gewalt. Der Mord bricht wie ein Schock über die friedliche Gemeinschaft herein, mit Gewaltverbrechen hat man hier wenig Erfahrungen. Eine sehr alte Frau erinnert sich noch an eine Schulfreundin, die einst einem Verbrechen zum Opfer fiel. Das alles gehört einer anderen Zeitrechnung an. »So ist das nun mal«, beendet sie ihre Geschichte. Doch Walter will sich mit diesem Fatalismus nicht abfinden. Auch ihn plagt eine gewalttätige Vergangenheit, die sich immer wieder vor die Bilder der Gegenwart schiebt. In diesen kurzen Rückblenden sieht man Walter und eine Frau, durch einen Schnitt voneinander getrennt. Seine Ermittlungen bringen sie nun wieder zusammen. Rita (Jill Hennessy) ist die Freundin des Hauptverdächtigen, aber da steht noch etwas anderes zwischen den beiden, das der Film nur langsam auflöst. »Wir haben eine Vergangenheit«, erklärt Walter dem Ermittler der Bundespolizei, der dem Sheriffbüro zur Unterstützung abgestellt ist, knapp. Die Vergangenheit ist in Small Town Murder Songs eine schwer bestimmbare Größe und genauso diffus wie die Lichtverhältnisse im herbstlichen Ontario.
Recht schnell wird deutlich, dass der Krimiplot lediglich als Vehikel für eine Erlösungsgeschichte dient. Wenn Walters Gesichtsmuskulatur zu arbeiten beginnt, ahnt man, gegen welche inneren Kräfte sich dieser massive Körper zu stemmen hat. Peter Stormare, bekannt als wortkarger Psychopath aus Fargo und religiös erleuchteter Mobster in der Gefängnisserie »Prison Break«, hat eine verblüffende körperliche Veränderung durchlaufen, um in diese Rolle hinein zu wachsen. Die Scham ist Walter ins Gesicht geschrieben; die Gewalt, die ein Teil von ihm ist und ihn gleichzeitig umgibt, stößt ihn ab.
Auch die Tischgebete seiner Freundin Sam (Martha Plimpton), einer gutgläubigen Christin, verschaffen keine Läuterung. Ihr zuliebe ist er konvertiert, aber die neue Kirche mit ihren archaischen Lehrsätzen spendet Walter genauso wenig Trost wie die Glaubensgemeinschaft der Familie, die ihn ausgeschlossen hat. Die Verbindung aus Gewalt und Leidenschaft, Walters Vergehen, vertragen sich nicht mit der puritanischen Vorstellung der Mennoniten, und dass er zur Arbeit eine Waffe trägt – die Mennoniten im Film leben ähnlich wie Amish People von ihrem Land –, macht die Versöhnung nicht einfacher.
So ist das Gefühl von Schuld in den Bildern des Films allgegenwärtig: in Walters bis zur Erschöpfung angespannten Gesichtszügen, der wolkenverhangenen Landschaft, dem wiederkehrenden Motiv des getöteten Mädchens, den fragmentierten Rückblenden. Das Gewaltverbrechen hallt in Walter wider, es bringt unterdrückte Impulse an die Oberfläche, die er lange sicher verschlossen geglaubt hatte. Von seinem Begehren getrieben, fällt Walter in alte Handlungsmuster zurück. Und vergeblich wartet man auf einen Lichtstrahl, der die schweren, milchig-grauen Wolken wenigstens einmal durchdringen könnte.
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