Kritik zu Das Haus auf Korsika
Gibt es ein Leben vor dem Tod? Dieser Frage widmet sich der belgische Regisseur Pierre Duculot in seinem Langfilmdebüt über eine Dreißigjährige, die noch einmal das Ruder herumreißen möchte
Dem Anfang des Films von Pierre Duculot wohnt kein Zauber inne, der Tod hat das erste Wort: Christina (Christelle Cornil) hält die Urne ihrer Großmutter in der Hand und überlegt, was mit der Asche geschehen soll – nicht ahnend, dass der Tod der Großmutter ihr Leben entscheidend verändern wird.
Die Kamera zeichnet zunächst ein tristes Bild der kleinen belgischen Stadt, in der Christina in einer langjährigen, unspektakulären Beziehung mit ihrem Freund lebt und in der Pizzeria des designierten Schwiegervaters jobbt. Sie hat studiert, etwas mit Kunst, wie der Vater (Roberto D’Orazio) ihr höhnisch vorhält; eine passende Stelle hat sie nicht gefunden. Die wunderbare Schauspielerin Christelle Cornil gestaltet ihre Figur wie einen Spiegel der Umgebung: ein bisschen wehmütig erscheint sie, mausgrau, wie eine Frau ohne Zukunft, auf resignative Weise verschmolzen mit einem Leben ohne viel Perspektiven.
Der Eindruck täuscht. Der Fatalismus ringt mit einem starken Willen, dem nicht auszulöschenden Wunsch, dem vorgegebenen Schicksal ein Schnippchen zu schlagen. Zum Instrument wird ein Haus auf Korsika, in Mausoleo (zwölf Einwohner), das die Großmutter ihrer Enkelin hinterlassen hat. Hierhin bricht Christina auf, trotz des nahen Winters.
Der Belgier Duculot (Buch und Regie), der 2006 und 2007 mit Kurzfilmen auf sich aufmerksam machte, konfrontiert seine stille, aber verbissene Heldin mit hilfsbereiten Einheimischen, darunter eine Greisin, die mit der Besucherin in die Geschichte von Christinas Familie eintaucht. Ein Hund wird ihr Freund. Christina vergewissert sich ihrer Wurzeln und lernt durch ihren Aufenthalt im heruntergekommenen Haus der Großmutter ein neues Verhältnis zu Komfort und Natur kennen. Das ist mitunter sehr komisch. Duculot inszeniert die stumme Magie von Flora, Wolken, Bergen und einem poetisch blauen Himmel. Christinas Bemühen, ihr Leben neu zu gestalten, erhält eine dringliche Note, als sie Pascal begegnet. François Vincentelli spielt den erdverbundenen Korsen als Monsieur irrésistible: kernig und doch sensibel; ein Mann für alle Gelegenheiten. Es geht in diesem Film nicht ohne Drama und Tränen ab, die Zukunft bekommt Christina nicht geschenkt.
In der Ruhe liegt die Kraft, mit diesem Satz lässt sich Duculots ästhetisches Programm kurz und treffend beschreiben. Der Ungeduld seiner Hauptfigur setzt er eine geduldige, unaufgeregte, gewollt spröde Bildsprache entgegen. Seine der Frage »Gibt es ein Leben vor dem Tod?« gewidmete Frauenstudie gehorcht einem meditativ anmutenden Tempo. Die darin eingebundene, intensive Geschichte von Aufbruch und Zweifel, Mut und Verzagtheit liest man in den Augen der Schauspielerin Christelle Cornil.
Cornil trägt den Film, dessen Ensemble aus Profis, Halbprofis und begabten Laien besteht. Sie begleiten Cornils Christina auf ihrem langen Weg zu sich selbst. Ob er zum Ziel führt, lässt Pierre Duculots Film offen. Der Filmemacher sagt: »Etwas zu verpatzen, ist nicht schlimm, aber es nie versucht zu haben, ist schrecklich. Man muss gegen die Frustration ankämpfen.«
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