Interview mit Olivier Assayas über seinen Film »Die Wolken von Sils Maria«
Foto: Oliver Assayas
Schauspieler sind unterschiedlich – Gespräch mit Olivier Assayas über »Die Wolken von Sils Maria«
Monsieur Assayas, »Die Wolken von Sils Maria« soll seinen Ursprung in dem Wunsch haben, mit Juliette Binoche zusammen zu arbeiten.
Das stimmt, wir wollten wiederholt zusammenarbeiten – einige der Filme kamen gar nicht zustande, bei »Les destinées sentimentales« drehte ich schließlich mit einer anderen Schauspielerin. Jetzt wollten wir etwas nachholen.
Daraus ergibt sich aber noch keine Geschichte…
Da haben Sie Recht. Gemeinsam war uns die Frustration, dass wir beide ungefähr zur selben Zeit angefangen hatten. Auf sie wurde man zuerst aufmerksam durch ihre Darstellung in André Techines »Rendez-Vous«, den ich zusammen mit Techiné geschrieben hatte. Auch für mich war das der Durchbruch als Autor, denn es war das erste meiner Drehbücher, das verfilmt wurde, es ebnete auch den Weg zu meinem Regiedebüt im darauffolgenden Jahr. Wir waren damals beide noch Kinder. Wir haben dann zwar noch bei »Le heure d’ ete« zusammen gearbeitet, aber das war mehr ein Ensemblefilm. Also, eine Geschichte hatten wir noch nicht, normalerweise würde ich dann höflich sagen, "Ich überlege mir etwas", aber hier kamen wir im Gespräch darauf, warum erzählen wir nicht eine Geschichte genau darüber? Über ein Wiedersehen nach vielen Jahren und den Versuch, an etwas abzuknüpfen und etwas Neues daraus erwachsen zu lassen? Das setzte Dinge in Bewegung.
Gab es andere Ereignisse aus ihrer Vergangenheit, die in die Geschichte Eingang fanden?
Ja, zum Beispiel die Tatsache, dass sie einer der wenigen französischen Stars ist, die eine internationale Karriere hatten – was mir auch half, diese Geschichte so anzulegen. Wir beide begannen mit unabhängigen französischen Filmen und entwickelten dann das Interesse auch an andere Möglichkeiten, z.B. Filme in englischer Sprache zu drehen. Als sie mich anrief, war ich gerade dabei, »Die wilde Zeit« zu schreiben, sie meinte, sie hätte im nächsten November fünf Wochen Zeit, ob ich nicht relativ schnell etwas schreiben könnte, was wir zusammen machen könnten.
Sie haben Schauspieler mit ganz unterschiedlichen Hintergründen in diesem Film: einen amerikanischen Star (Kirsten Stewart), zwei Schauspieler, die eher Theater machen (Lars Eidinger und Angela Winkler), einen, der überall zu Hause ist (Hanns Zischler). War das von vornherein Teil Ihres Konzeptes?
Ich bin der Auffassung, dass Filme eine gute Möglichkeit darstellen, mit Schauspielern, die man bewundert, zusammen zu arbeiten. Filme entwickeln zudem ihre eigene Geografie. Dieser sollte in der Schweiz spielen, wegen der Berge und der Wolken. Der Film war schweizerisch-deutsch grundiert, daraus ergab sich auch die Nationalität des Autors, der für diese Schauspielerin so wichtig war. Ebenso sollte der Regisseur aus dem europäischen Raum kommen. Lars Eidinger hatte ich in »Alle anderen« gesehen, wusste auch, dass er Theaterregie geführt hat; Angela Winkler hatte ich vor langer Zeit einmal getroffen, sie besitzt ein Haus in Frankreich, in der Auvergne, wo auch die Familie meiner Frau herkommt. Dort war ich gerade, als mich Juliettes Anruf erreichte. Das entwickelte sich für mich vollkommen organisch: Juliette verkörpert eine Schauspielerin, die eine Rolle angeboten bekommt, die Rolle ist in englischer Sprache, sie vertieft sich schon Monate davor in diese Rolle und hat auch eine englischsprachige Assistentin, die eine junge Frau sein muss.
Wie schwierig war es, angesichts dieser verschiedenen Hintergründe der Schauspieler einen Konsens zu finden – am Theater arbeitet man ja anders als beim Film.
Das war in der Tat die Hauptaufgabe, wobei ich natürlich wusste, dass alle Schauspieler unterschiedlich funktionieren – einige brauchen dies, die anderen brauchen das. Der eine ist am besten beim ersten Take, der andere beim zehnten, wieder ein anderer ist nur ein einziges Mal wirklich gut. Juliette und Kristen sind in dieser Hinsicht wirklich sehr unterschiedlich: Kristen ist toll beim ersten Take und hasst es, dasselbe noch einmal zu machen. Beim nächsten Take macht sie also etwas anderes. Juliette ist das Gegenteil, sie braucht eher zehn Takes, um sich warm zu spielen. So musste ich sie hier ermutigen, in Kristens Richtung zu gehen, während sich Kristen daran gewöhnen musste, einzusehen, dass sie auch bei der Wiederholung eines Takes ihre Qualitäten bewahrte – oder sogar noch verbesserte.
Das war harte Arbeit, irgendwann erkannte ich dann, dass es sinnvoll war, mit zwei Kameras zu drehen, was den beiden ein Stück Improvisation erlaubte.
Hatten Sie je überlegt, die Rolle von Kristen Stewart mit einer unbekannteren Schauspielerin zu besetzen? Ich erinnere mich an »Notting Hill«, wo Julia Roberts die berühmteste amerikanische Schauspielerin ihrer Zeit verkörperte und Hugh Grant einen unbekannten Journalisten – obwohl er zu der Zeit ebenfalls auf der Höhe seines Ruhms war. Dadurch funktionierte der Film für mich nicht richtig.
Das ist mir bei »Die Wolken von Sils Maria« nie in den Sinn gekommen, denn mir war klar, Juliette brauchte ein starkes Gegenüber als Herausforderung. Mit einer unbekannteren Darstellerin hätte sie sich zu sicher gefühlt und die beiden hätten nie diese Art von Interaktion entwickeln können. Juliette steht hier dem größten weiblichen Star einer jüngeren Generation gegenüber, so weiß sie, dass sie kämpfen muss, um sich ihr gegenüber behaupten zu können - sie muss sich neu erfinden. Die Dynamik der Geschichte machte es unausweichlich, dass ich diese Rolle mit jemandem besetzen musste, der einen Namen hat.
Auf das Naturphänomen der Schlange von Majora sind Sie beim Schreiben gestoßen, oder war Ihnen das schon vorher bekannt?
Das war wieder so ein Zufall, ich bin mehrfach in Sils Maria gewesen, denn ich habe Freunde, die Wandertouren unternehmen. Sie haben mich irgendwann überredet, mitzumachen. Dabei habe ich diese Wolkenformationen mit eigenen Augen gesehen. Als ich dann am Drehbuch saß, schaute ich mir eines Abends einen Arnold Fanck-Film an und auf der DVD gab es als Bonusmaterial diesen kurzen Dokumentarfilm. Als ich den sah, wurde mir klar, dass es das selbe Wolkenphänomen war, das ich damals vom Fenster meines Hotels gesehen hatte. Die Landschaft hatte eine Geschichte, das war ein Echo der Geschichte, die ich erzähle.
In dem Bühnenstück, in dem Juliette Binoches Figur einst die junge Frau spielte, soll sie jetzt die Rolle der Älteren übernehmen, die von der jungen manipulier wird. Ich musste dabei an den Film »All About Eve« denken.
Den Film habe ich vor sehr langer Zeit gesehen, als Teenager, und seitdem nie weder. Ich habe ihn damals geliebt, etwas ist davon offenbar hängengeblieben. Ich muss mir ihn wohl weder einmal ansehen, um festzustellen, was sich davon in meinem Unbewussten festgesetzt hat. Die Filme, an die ich eher denken musste, waren Fassbinders »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« (das zuerst ein Stück war, das Fassbinder dann selber zu einem Film umgearbeitet hat) und Ingmar Bergmans »Persona«. Bergman ist für mich ganz wichtig, ich habe ihn getroffen und ein Interviewbuch mit ihm veröffentlicht – in gewisser Weise bin ich mit diesem Film zu ihm zurückgekehrt. Das Theater dient mir dazu, eine eher brutale Weise aufzuzeigen, wie mit Konflikten umgegangen wird – in meinen Filmen würde ich das nie so brutal auszudrücken.
Als Sie den Satz über seelenlose amerikanische Großproduktionen schrieben, wussten Sie noch nicht, dass Juliette Binoche in »Godzilla« mitspielen würde?
Nein! Ich hatte immer meinen Spaß an Popcorn-Filmen. Wenn sich Nora von Waldstätten hier in Luft auflöst, dann hat das mehr mit einem Billigfilm der fünfziger Jahre zu tun als mit dem, was wir gegenwärtig auf der Leinwand sehen können. Ich sehe schon die Ambivalenz dieser Massenkultur. Wenn ich Marvel Comics lese, bin ich immer wieder überrascht über die Komplexität der Figuren. Das ist mehr als viele Filme derzeit zu bieten haben.
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