Zu klug für diese Welt
»Star Trek«
Benedict Cumberbatch spielt oft geniale Außenseiter. Wie Sherlock Holmes in der BBC-Serie oder jetzt den tragischen Mathematiker Alan Turing in The Imitation Game. Anke Sterneborg über das entrückte Charisma des englischen Stars
Ein Detektiv, der einen Menschen nur von oben bis unten mustern muss, um seine Vorlieben, Qualitäten und Makel referieren zu können und was er zum Frühstück gegessen hat, in Sherlock. Ein Mathematiker, der mit wachem Geist die Endlichkeit seines brüchigen Körpers überwindet und in die Unendlichkeit des Universums vordringt, in Hawking – Die Suche nach dem Anfang der Zeit. Ein Computer-Nerd, der die Welt verändert, indem er schmutzige Geheimnisse aus Wirtschaft und Politik öffentlich macht, in Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt. Ein mächtiger Drache, der in einer Höhle über Berge von Gold wacht, in den Hobbit-Filmen. Ein genetisch hochgetunter Sternenkrieger in Star Trek: Into Darkness. Ein besessener Maler in Van Gogh: Painted with Words... Den meisten der Charaktere, die Benedict Cumberbatch in den letzten Jahren gespielt hat, haftet ein genialischer Zug an, sie greifen nach den Sternen und sind untauglich für das ganz normale Leben auf der Erde, für menschliche Beziehungen und gesellschaftliche Begegnungen. In diese Riege passt nun auch der geniale Mathematiker Alan Turing in Cumberbatchs aktuellem Film The Imitation Game, der im Zweiten Weltkrieg das Geheimnis der deutschen Verschlüsselungsmaschine Enigma lüftete und damit den Vorläufer des Computers entwickelte.
Schon seine äußere Erscheinung prädestiniert Benedict Cumberbatch für solche Exzentriker: Die für einen Schauspieler hohe, aufrechte Statur, die ihm eine aristokratische Aura verleiht. Der große Kopf mit den markanten Zügen, den hohen Wangen, der wie mit dem Meißel geformten Oberlippe und Nase, den weit auseinanderstehenden blaugrünen Augen. Dazu der tiefe Bass seiner Stimme. Mit dem mal kühl taxierenden, mal scheu gesenkten Blick hat er etwas Entrücktes, Außerirdisches, das sich die Regisseure im Laufe der Jahre zunehmend zunutze machen. Betont wird diese Aura des Befremdlichen durch die weißen Haare von Assange, den bleichen, ebenmäßigen Teint von Khan, die wehenden langen schwarzen Haare des Necromanten. Zu den eindrucksvollsten Auftritten gehört der Sternenkrieger Khan in J. J. Abrams’ beeindruckendem Star Trek-Relaunch: Die abgezirkelte, mechanische Präzision der Bewegungen und der Artikulation lassen ihn roboterhaft wirken und geben ihm zugleich eine bedrohliche Autorität, die nicht von dieser Welt ist: »Warum würde ein Starfleet Admiral einen 300 Jahre alten eingefrorenen Menschen um Hilfe bitten«, fragt ihn Captain Kirk, und Khan antwortet: »Weil ich besser bin.« – »Worin?« – »In allem.« Man glaubt es ihm sofort.
Und dann der Name: Benedict Timothy Carlton Cumberbatch. Das muss man sich schon mal auf der Zunge zergehen lassen: Benedict Timothy Carlton Cumberbatch. Er selbst relativiert den hochtrabenden Klang, indem er sagt, das klinge wie »a fart in a bath«. Immerhin liefert der Name auch eine eigene Bezeichnung für die große Gemeinde seiner weiblichen Fans: Cumberbitches. Wer kann das schon von sich sagen?
Geboren ist Benedict Cumberbatch 1976 in gut bürgerlichen Verhältnissen im Londoner Stadtteil Hammersmith. Obwohl beide Eltern Schauspieler sind, plante er zunächst eine Karriere als Anwalt, was im Gerichtssaal natürlich auch auf eine Art Performance herausgelaufen wäre. Seltsam, dass er noch keinen Anwalt gespielt hat. Auf der Theaterbühne der Uni erlebte er dann am eigenen Leib das Strahlen der Lichter und die Wärme des Publikums, und alles kam anders. Als sein Vater ihn in »Amadeus« als Salieri, den bösen Gegenspieler des Komponisten, auf der Bühne sah und ihm eine große Schauspielerkarriere voraussagte, waren die Weichen neu gestellt; aus dem Hobby wurde eine Berufung. Berühmt zu werden, hatte Cumberbatch nie im Sinn, er wollte einfach nur vor Publikum spielen, mit den Zuschauern kommunizieren und seinen Unterhalt verdienen. So absolvierte er das Pflichtprogramm in BBC-Kostümdramen und auf kleineren Bühnen, spielte Stallburschen, Landadlige, Soldaten, aber auch ganz normale Familienmitglieder, wie in der Fernsehsitcom Dr. Slippery, wo er als Sohn von Hugh Laurie jugendlichen Charme versprüht, leicht, locker, lässig, vergleichsweise harmlos und doch ziemlich unwiderstehlich ist.
In Joe Wrights Verfilmung von Ian McEwans Abbitte verleiht er dem schnauzbärtigen Schokoladenfabrikanten Paul Marshall einen zwielichtigen Unterton. In Justin Chadwicks Die Schwester der Königin war er der bürgerliche Bräutigam des »anderen« Boleyn-Mädchens (Scarlett Johansson), doch mit der Liebe wird das nie so recht etwas bei ihm: Hier muss er sie dem König opfern. Noch schlimmer kommt es in der BBC-Serie Parade’s End, wo er als letzter Gentleman vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs nicht nur seinem eigenen Glück im Weg steht, sondern auch dem , der beiden Frauen, die ihn lieben. Und auch als unerfahrener Verhandlungsführer in Christopher Morris’ Four Lions, einer Satire über eine Gruppe dilettantischer Gotteskrieger, macht er einen eher hilflosen Eindruck.
Das ideale Cumberbatch-Rollenfach des distanzierten Perfektionisten bildet sich langsam heraus. Eine erste Andeutung ist in Hawking wahrnehmbar, doch im Vergleich zu Eddie Redmayne, der gerade in Die Entdeckung der Unendlichkeit die ganze Brüchigkeit von Hawkings physischer Existenz durchgespielt hat, kratzt Cumberbatch nur an der Oberfläche. Dennoch deutet sich hier zum ersten Mal die Affinität zum Genialischen an, die er in späteren Jahren in vielen schillernden Facetten, von überheblicher Arroganz über selbstvergessene Zielstrebigkeit bis hin zu brüchiger Verletzlichkeit, ausloten wird.
2008 spielt er in der BBC-Serie The Last Enemy erneut eine Version dieser hyperintelligenten, distanziert unnahbaren bis zwangsneurotischen Figuren, noch so einen overachiever, den Wissenschaftler Stephen Ezard, der aus China nach London zurückkehrt, um seinen älteren Bruder zu beerdigen, der in Afghanistan einer Landmine zum Opfer gefallen sein soll. Es entfaltet sich ein beklemmender Verschwörungsthriller, in dem die allgegenwärtige reale Überwachung nur ein bisschen weitergedacht und zugespitzt erscheint. Während Cumberbatchs Stephen Ezard mit kühlem Verstand das krakenartige System manipuliert und unterwandert, verstrickt er sich in eine für seine Verhältnisse ungewohnt sinnliche Affäre mit der Frau seines Bruders (Anamaria Marinca), was ihn wie in Parade’s End in Gewissenskonflikte stürzt. Irgendwie scheint es für ihn immer wieder Gründe zu geben, sich die Gefühle vom Leib zu halten, das gilt auch für Third Star von der australischen Regisseurin Hattie Dalton, wo er einen todkranken Dreißigjährigen spielt, der mit seinen Freunden auf eine letzte Reise geht. Seine Darstellung schillert in vielen Nuancen von Trotz, Verdrängung und Akzeptanz; die größte Wirkung erzielt er gerade, weil er immer etwas zurückhält. Doch hinter dem Panzer, mit dem er sich da gegen die Zumutungen einer tödlichen Krebserkrankung in so jungen Jahren verschanzt, schimmert eine brüchige Verletzlichkeit durch, die vor kitschiger Sentimentalität gefeit ist. Die Ereignisse kulminieren in einer ergreifenden Schlussszene im Meer.
Das ist dann auch schon das Jahr 2010, in dem für Benedict Cumberbatch der ganz große Durchbruch kommt, mit der inzwischen legendären BBC-Miniserie Sherlock, in der Arthur Conan Doyles viktorianischer Meisterdetektiv kongenial ins 21. Jahrhundert katapultiert wurde, ohne seine ehrwürdigen Wurzeln zu verraten. Im langen wehenden Mantel mit schwarz gefärbten Haaren gelingt es ihm auf unnachahmliche Weise, ein ziemlich arrogantes Arschloch zu sein und zugleich Sexappeal und Stil zu verströmen. Um klar denken zu können, schließt er jede Sinnlichkeit aus seinem Leben aus, Liebe und Sex natürlich, aber auch das Essen: »Ich esse nicht, die Verdauung verlangsamt mich.« Sherlock ist auf rücksichtslose Weise ehrlich und direkt, voller Verachtung für die anderen, die normalen Menschen, deren ganze Existenz er in einem knapp dahingeworfenen Satz vernichtet: »Don’t talk out loud, you lower the IQ oft he whole street«. Oder: »Brilliant, Anderson! A brilliant impression of an idiot!« Mangels Empathie kann er auch nicht verstehen, warum es ein so großes Problem sein soll, dass er Watson über seinen lediglich gefälschten Tod lange Zeit im Unklaren lässt. Sein Leben ist der reinen Effizienz gewidmet, weshalb er auch jemanden wie Martin Freemans Dr. Watson braucht, der bei Bedarf seine knappen, verächtlichen Sottisen in menschliche Kommunikation übersetzt. Die obsessive Hingabe seiner Physiker, Mathematiker und Detektive darf man wohl auch dem Schauspieler zuschreiben.
Durch den britischen Detektiv, der in 180 Ländern zu sehen war, wurden auch die Amerikaner auf Benedict Cumberbatch aufmerksam. Zuerst engagierte Spielberg ihn für sein Kriegsdrama Die Gefährten, in den Jahren danach folgten zahllose prominente Rollen in Blockbustern wie Star Trek und Der Hobbit, aber auch in einem leise brodelnden Familiendrama wie Im August in Osage County, wo er als schwarzes Schaf der Familie mit Meryl Streep in den Clinch geht. In Dame, König, As, Spion spielte er einen Geheimagenten, doch zweifellos hätte er auch Potenzial als Bond-Bösewicht. In dem mit dem Oscar ausgezeichneten Sklavendrama 12 Years a Slave schwankte er mit der für ihn typischen Präzision in wenigen Szenen zwischen konservativem Status quo und liberalem Aufbruch, und den Hacker-Prinzen Assange spielte er als enigmatischen Narzissten. Schließlich lieh er dem maliziös fauchenden Drachen Smaug nicht nur seine dunkle Stimme, sondern per Motion-Capture-Verfahren auch Mimik und Gestik. Auf Youtube kann man sehen, wie er sich in dem mit Sensoren versehenen Trikot auf einer Matte in eine züngelnde Echse hineinversetzt. Die »New York Times« nannte ihn »the accidental superstar«, den zufälligen Superstar, weil ihn der Ruhm ereilte, ohne dass er ihm je nachgejagt wäre. Vom »Spiegel« gefragt, ob er denn für Glamour und Ruhm gar nicht anfällig sei, erwidert er nur: »Es ist ja nicht wie in gewissen Ländern, vor deren Besuch man sich gegen Malaria oder sonstige schlimme Krankheiten impfen lassen muss. Wer nach Hollywood geht, wird nicht automatisch zum selbstbesoffenen Arschloch«.
Neben der Vielfalt der Kinofilme findet Cumberbatch auch noch Zeit für die Bühne. Unter der Regie von Danny Boyle spielte er am National Theatre in London abwechselnd Dr. Frankenstein und sein Geschöpf: »Beide Rollen sind sehr anspruchsvoll und haben viel tragisches Potenzial: Frankenstein, der ohne familiäre Liebe aufwuchs und deswegen davon besessen ist, Totes zum Leben zu erwecken. Das Monster wiederum, das ohne Arg in ein erwachsenes Leben geboren wird und grausame Ablehnung erfährt, weil es andersartig ist, diese Evolution von totaler Unschuld zu größter Qual, das ist traurig und ganz großes Drama.« Derzeit bereitet er sich darauf vor, seine Traumrolle, den Hamlet, zu spielen.
Auffallend oft nimmt Cumberbatch die Herausforderung realer Biografien an, von Hawking bis Assange. Auf immer neue Weise erkundet Cumberbatch die Stärken und Schwächen des Menschen, die für ihn untrennbar verzahnt sind: »Ich glaube nicht an das Konzept von Gut und Böse«, sagt er im Interview. »Die einfache Einteilung in die Helden auf der einen Seite und die Übeltäter auf der anderen, der man noch so oft begegnet, kommt mir äußerst gestrig vor.« Das gilt auch für Alan Turing, der zuerst als Held gefeiert wurde, der rund zwei Millionen Menschenleben gerettet hat, und dann wegen seiner Homosexualität verfolgt wurde: »Turing ist mir wirklich unter die Haut gegangen. Es war mitleiderregend, sich diese physische Schwäche vorzustellen, die Verletzlichkeit, die Erschöpfung und wie die Hormone seine Stimmungslage verändert haben.« Im Kontrast zu Sherlock ist Turing nicht flamboyant und dandyhaft, sondern eher gehemmt, unsicher und scheu. Was die beiden verbindet, ist ihre absolute, kompromisslose Hingabe ans Ziel. Alles, was nicht der Lösung, dem Brechen des Enigma-Codes, dient, erscheint Turing irgendwie überflüssig. Umso rührender ist es, wenn er dann doch mal auf seine entfremdeten Kollegen zugeht und ihnen mit linkischen Gesten einen Apfel überreicht. »Es muss interessant bleiben«, sagt Cumberbatch. »Ich will mich nicht wiederholen, aber ich strebe auch nicht krampfhaft größtmögliche Vielfalt an.«
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