Spuren im Schnee
Foto: © Sony Pictures
Seit den Anfängen des Films gibt es Weihnachtsfilme. Aber nirgends wird Weihnachten so heftig, entschlossen und ausdauernd gefeiert wie im amerikanischen Kino. In dieser Saison heißt es wieder mehrfach "Fröhliche Weihnachten!" Doch neue Filme wie der furiose Bad Santa liefern die Weihnachtskritik immer gleich mit
Zu Beginn rieselt noch der Schnee, und der Weihnachtsstern leuchtet in der Nacht. Doch schon wenn die Kamera in eine Kneipe fährt und auf dem Weihnachtsmann stehen bleibt, der mit angewidertem Gesicht einen Whiskey in sich hineinschüttet und sich später in einer Seitenstraße übergibt, weiß der Zuschauer: Weihnachten ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Bad Santa mit Billy Bob Thornton als Weihnachtsmann mit Alkoholproblem ist bei uns am 18. November mit einjähriger Verspätung gestartet, und zumindest im Kino kommt gerade in diesem Jahr mit insgesamt vier Filmen Vorweihnachtsstimmung auf. In Wie überleben wir Weihnachten? (Surviving Christmas, 16.12.) gibt Ben Affleck, im Weihnachtgenre durchaus erfahren, einen Marketingspezialisten, der sich eine Familie mietet, um mit ihr Weihnachten zu verbringen. Der Komiker Tim Allen und Jamie Lee Curtis spielen in Verrückte Weihnachten (Christmas With the Cranks, 25.11.) ein Ehepaar, das vergeblich versucht, dem allgemeinen Kaufrausch zu entgehen, und in der Kinderbuchverfilmung Polar Express (25.11.) darf ein kleiner Junge den Weihnachtsmann am Nordpol besuchen. Wichtel und Punsch, Lametta und Mistelzweige also, wohin man schaut. Das war in den letzten drei Jahren nicht immer so. Da hat ein Ring alles bestimmt. Hatten früher die Filmverleiher und Produzenten stets darum gewetteifert, den "richtigen" Film für das Fest zu finden, liefen im letzten Jahr ganze zwei Filme, in denen Weihnachten eine große Rolle spielt: In Buddy, der Weihnachtself kommt ein bei zwergenhaften Elfen aufgewachsener Mensch zurück in die Stadt. Und die charmante britische Komödie Tatsächlich ... Liebe führt ihre vielen unglücklichen Liebesgeschichten am Weihnachtstag zusammen.
Aber das filmische Großereignis zu Weihnachten hieß von 2001 bis 2003 Der Herr der Ringe, und niemand kam dagegen an. Die Teile der Trilogie starteten jeweils am 17. oder 18. Dezember - Weihnachtsfilme ohne Weihnachten. Aber nicht ganz umsonst hat der Verleih die Tolkien-Filme so kurz vor dem Fest terminiert: Haben nicht die mythologisch-poetischen Abenteuer des Hobbits Frodo und seiner Gefährten im Kampf gegen das Böse jene Zutaten, die sonst die Weihnachtsfilme auszeichnen?
Der Geist vergangener Weihnachten
Eine beliebte Vorlage für Weihnachtsfilme ist Charles Dickens' Geschichte "Der Weihnachtsabend", in der sich der geizige, sture und menschenfeindliche Mr. Scrooge am Heiligen Abend zum Menschenfreund wandelt. 1935 und 1951 entstanden Filmversionen dieser Parabel. Dass der Weihnachtsabend immer auch mit dem Erkennen wahrer Werte zu tun hat, darauf spielt auch die Adaption Die Geister, die ich rief (Scrooged) von 1988 an. Darin spielt der US-Komiker Bill Murray einen misanthropischen TV-Boss, der eine Weihnachtsshow um Mr. Scrooge produziert und erkennt, dass auch für ihn noch andere Werte als Karriere und Reichtum zählen: Er besinnt sich der Liebe zu seiner früheren Freundin und verkündet seine Wesensänderung vor laufenden Kameras. Auch Der Grinch (How the Grinch Stole Christmas, 2000) ist ein Verwandter dieses Mr. Scrooge, ein soziopathisches Monster, dessen Lieblingsbeschäftigung es ist, anderen die Festlaune kaputtzumachen.
Der US-amerikanische Regisseur John Ford hat sich in dem Western Spuren im Sand (Three Godfathers, 1948) der biblischen Geschichte von der Geburt Christi angenommen. In dem Film finden drei Bankräuber in der Wüste ein verlassenes Baby, durch das sie Verantwortung und Einsicht gewinnen. Ford hat Spuren im Sand zu einer Parabel um Reue und Erlösung stilisiert, in der selbst die Krippenfigur des Esels nicht fehlt und ein Stern den Bankräubern den Weg weist. Welche Faszinationskraft die biblische Weihnachtsgeschichte für die ersten Jahrzehnte des Films hatte, beweist der Umstand, dass Fords Film schon die siebte Version der zu Grunde liegenden Erzählung "Three Godfathers" war. Die Analogie zu den drei Weisen aus dem Morgenland ist auch in Wir sind keine Engel von Michael Curtiz (We Are No Angels, 1955) offensichtlich: Wieder stehen drei Verbrecher im Mittelpunkt - einer wird von Humphrey Bogart gespielt -, die am Heiligen Abend von einer Sträflingsinsel abhauen. Eigentlich wollen sie eine Familie ausrauben, dann aber schützen sie sie vor einem raffgierigen Verwandten.
Doch spätestens seitdem die britische Komikertruppe Monty Python in Das Leben des Brian (Life of Brian, 1978) die drei Weisen das falsche Kind anbeten ließ, sind auch die Weihnachtsfilme bösartiger geworden. Das Fest erscheint als wiederkehrendes Ritual, das sich von seinen Wurzeln längst entfernt hat. Schon in Alle Jahre wieder (1967) von Ulrich Schamoni, einer frühen Arbeit aus dem Umkreis des Neuen Deutschen Films, besucht ein Mann jedes Jahr seine Familie, die er in Münster zurückgelassen hat: das Fest als erstarrte Formalität. Und wenn Chevy Chase in Schöne Bescherung (National Lampoon's Christmas Vacation, 1989), einem der komischsten Filme zum Thema, nach einem allgemeinen Stromausfall, dem geplatzten Truthahn und der explodierten Tanne doch noch die ersehnte Weihnachtsgratifikation bekommt, wissen wir, dass das bloß eine Genrekonvention ist: tatsächlich ist die Verzweiflung, die Chase oft im Gesicht geschrieben steht, dem Film nicht mehr ganz auszutreiben.
Weihnachten geht's an den Safe: Bad Santa
Weihnachten ist immer auch eine Feier des Konsums und des Kommerzes. Und ein Fest, an dem Kinderwünsche Wirklichkeit werden. In Versprochen ist versprochen (Jingle All the Way, 1996) hatte Arnold Schwarzenegger größte Mühe, seinem Sohn die gewünschte Action-Figur "Turbo Man", die in allen Läden ausverkauft ist, zu besorgen.
Bad Santa ist eine Parodie auf all jene Filme, die das Fest als Erlösung und Läuterung gefeiert haben, eine Reise in das Herz weihnachtlicher Finsternis. Filme um Santa Claus sind, mehr noch als Weihnachtsfilme überhaupt, ein uramerikanisches Genre, eine Ikone der populären Kultur: Seit den dreißiger Jahren macht Coca-Cola mit dem knuffigen Herrn Reklame, und aus den Einkaufszentren ist er nicht mehr wegzudenken. Durch die Sterilität dieser Welt schlappt Willie, treibt es schon mal mit einer Kundin, muss sich vor dem Kaufhausmanager (John Ritter in seiner letzten Rolle) rechtfertigen, trifft auf eine Barkeeperin mit einem nachgerade nymphomanischen Affekt für Weihnachtsmänner und lernt den dicken kleinen Jungen Thurman kennen, der bei seiner senilen Großmutter lebt und meist von den Nachbarjungs verprügelt wird. Aber immerhin weigert er sich, den Glauben an den Weihnachtsmann aufzugeben. Bad Santa, produziert von Joel und Ethan Coen, verstößt gegen alles, was uns an Weihnachten heilig ist. Das bezieht selbst das Wetter ein - "Let it snow, let it snow" singt Dean Martin, während Willie und sein Assistent durch das heiße Phoenix/Arizona spazieren.
Weihnachtliche Albträume
Weihnachten bedeutet auch familiäres Sperrfeuer: der Tag im Jahr, an dem sich die Familie ihrer selbst versichert. Weshalb der Off-Erzähler, der den einsamen Profi-Killer in Allen Barons unterkühltem Krimi Explosion des Schweigens (Blast of Silence, 1961) durchs erleuchtete Manhattan verfolgt, auch nur knapp resümiert: "Christmas - it gives you the creeps". Wurden in den goldenen Zeiten des Weihnachtsfilms - und in seinen bis heute andauernden Versuchen, sie wiederauferstehen zu lassen - die Familie und die über sie verkörperten Werte immer wieder gerettet, so tun sich im modernen Weihnachtsfilm Abgründe auf. Vielleicht, weil alles so festgefügt ist. Kubricks Eyes Wide Shut (1999) etwa legt gewissermaßen den Untergrund frei; der Film ist so etwas wie eine Versuchsanordnung über männliches und weibliches Begehren, die nicht umsonst auf einer Weihnachtsparty beginnt. Auf ihr flirten Alice (Nicole Kidman) und Bill (Tom Cruise) mit Zufallsbekanntschaften, und später wird Alice ihrem Mann ein Geständnis machen, das ihn zutiefst erschüttert: Sie erzählt, wie sie sich in einen Fremden verliebt hatte, für den sie alles aufzugeben bereit war - ohne dass sie ihn überhaupt kannte. In der literarischen Vorlage, der "Traumnovelle" von Arthur Schnitzler, ist übrigens nicht Weihnachten, sondern Fasching, keine so rechte Zeit für die "moralische Geschichte", die Kubrick hat in Szene setzen wollen. Die Familie selbst steht auf dem Prüfstand. Aber am Ende finden Alice und Bill, der nach ihrem Geständnis so etwas wie eine Odyssee der erotischen Versuchungen erlebt, wieder zueinander. "Es gibt etwas sehr Wichtiges, das wir machen sollten", sagt am Schluss Alice. Und sie sagt, ganz unverblümt, das four-letter-word.
Kubricks Film und Bills Reise durch die Nacht sind ein Spiel mit den Klischees des erotischen Begehrens: Da gibt es die Hure mit Herz und die betont "dekadent" inszenierte Orgie. Und an jeder Ecke steht ein Weihnachtsbaum herum: Es geht um den Mythos der Heiligen Familie. Auch in Stille Nacht von Dani Levy, wie Kubricks Film eine Versuchsanordnung, aber keine unterkühlte, sondern eine mit Schweiß und Tränen, wird eine Familie verhandelt - wenn auch eine, die es noch gar nicht gibt. Julia (Maria Schrader) erwartet in ihrer Wohnung ihren Liebhaber Frank (Jürgen Vogel) zum Karpfenessen am Heiligen Abend. Währenddessen sitzt ihr langjähriger Lebenspartner Christian (Mark Schlichter) in dem Pariser Hotel, wo einst ihr Verhältnis auch erotisch begann, und hat sich acht Stunden eingeräumt, um sich von Julias Liebe zu überzeugen: Sonst will er sein Leben beenden. Es beginnt ein nächtliches Spiel mit Anrufen, sexuellen Intermezzi, Beteuerungen und Verwirrungen, in dessen Verlauf auch herauskommt, dass Julia schwanger ist - wahrscheinlich von Frank. Stille Nacht, ein bei seinem Kinostart 1996 untergegangener Film, ist ein Wechselbad der Gefühle bis zum frühen Morgen, in dem es nur Täter gibt und keine Opfer. Er erzählt mit emotionaler Brutalität von den Höhen und Tiefen der Liebe. Und von ihrem Verrat. Vielleicht musste er deshalb am Heiligen Abend spielen.
Kontraste: Darauf sind auch die vielen Actionfilme aus, die an Weihnachten spielen. In Kevin - allein zu Haus (1990) muss der allein gelassene Kevin das Haus seiner Eltern gegen Einbrecher verteidigen - und darf alle jene Jungenstreiche ausleben, die ihm nicht nur zu Weihnachten verwehrt sind. In Tödliche Weihnachten (The Long Kiss Goodnight, 1996) spielt Geena Davis eine während der Festtage erweckte weibliche Kampfmaschine, und in Wild Christmas (Reindeer Games, 2000) von John Frankenheimer überfällt eine Truppe als Weihnachtsmänner verkleideter Gangster - unter ihnen: Ben Affleck - ein Casino im Schnee. In Stirb Langsam (Die Hard, 1988) platzen High-Tech-Verbrecher in die Weihnachtsfeier eines japanischen Konzerns und nehmen die Mitarbeiter als Geiseln, in einem Hochhaus in Los Angeles. Auch die hintersinnige Horror-Farce Gremlins - Kleine Monster (1983) spielt an Weihnachten: Die putzigen Fabelwesen werden bösartig und terrorisieren eine amerikanische Kleinstadt. Doch nach dem Fest ist auch dieser Spuk vorüber.
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