Kritik zu Flight

© Studiocanal

Denzel Washington brilliert als Pilot und Alkoholiker in Robert Zemeckis’ (»Cast Away – Verschollen«, »Der Polar-Express«) Rückkehr ins Realfilmgenre

Bewertung: 3
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 1)

Mit zwei Szenen wäre eigentlich alles gesagt: Die Szenen stehen am Anfang und am Ende von Flight und erzählen im Grunde alles, was man über seinen Protagonisten wissen muss. Als filmische Klammer bilden sie eine perfekte Einheit von Regie- Bravura und Schauspielinstinkt: kühn in ihren Mitteln, verführerisch in der packenden physischen Präsenz seines Hauptdarstellers und darin auch latent größenwahnsinnig.

Die erste der beiden Szenen setzt eine Kette von Ereignissen in Gang; sie schießt Washingtons Figur, den Linienpiloten Whip Whitacker, in eine unheilvolle Abwärtsspirale. Whip stürzt ab, buchstäblich. Bei einem Passagierflug versagen die Heckklappen und das Flugzeug rast kopfüber der Erde entgegen. In einer irrsinnigen Rettungsaktion, mit der Zemeckis das Action- und Katastrophenkino um einen spektakulären Höhepunkt bereichert, bringt Whip das Flugzeug wieder unter Kontrolle: Er dreht die Maschine in Rückenlage und bringt sie im Gleitflug zu Boden. Der Zuschauer weiß zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Whip ein mentales und körperliches Wrack ist. Er hat die Nacht durchgesoffen und seine Nerven vor dem Abflug mit einer Line Koks beruhigt.

Washington ist der wahre Spezialeffekt dieser Notlandung. Wie er die Maschine wider besseren Wissens und unter den misstrauischen Blicken seines gottesfürchtigen Copiloten mit der unantastbaren Selbstgewissheit eines Suchtkranken durch die Ausnahmesituation manöveriert, ist eine filmische und darstellerische Glanzleistung. Whip entsteigt dem Wrack als Held. Doch der toxologische Befund der Flugüberwachung lässt Zweifel aufkommen. Sechs Menschen starben bei der Notlandung und irgendjemand muss nun als Sündenbock herhalten.

Die zweite denkwürdige Szene spielt in der Nacht vor der Anhörung der Luftfahrtbehörde. Whip ist seit wenigen Wochen trocken und bestens vorbereitet. Sein Verteidiger (Don Cheadle) und sein Gewerkschaftsvertreter (Bruce Greenwood) haben ihn sicher in einem Hotelzimmer untergebracht, die Hotelbar ist mit Softdrinks aufgefüllt. Doch wie durch ein Wunder findet Whip die Tür zum Nachbarzimmer unverschlossen vor. Zögernd betritt er den Raum, magisch angezogen vom summenden Geräusch des Kühlschranks, in den er hineinstarrt wie ein Kind in die Auslage eines Bonbongeschäfts. Er nimmt seelenruhig eine Flasche in die Hand, betrachtet sie, starrt in die Nacht, ehrfurchstvoll und elektrisiert. Und im letzten Moment, als er der Versuchung widerstehend das Zimmer fast schon wieder verlassen hat, stürzt er sich wie ein Raubtier auf seine Beute.

Zwei Szenen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, machen Flight sehenswert. Sie charakterisieren die Figur Washingtons im Moment des freien Falls. Ein kranker Mensch, der so lange hören muss, dass er ein Held ist, bis er selbst daran glaubt. Robert Zemeckis Rückkehr ins Realfilmgenre ist die packende Charakterstudie eines Suchtkranken.

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