Kritik zu Die Kunst sich die Schuhe zu binden

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2011
Original-Titel: 
Hur många lingon finns det i världen
Filmstart in Deutschland: 
20.09.2012
L: 
100 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Das Ungewöhnliche, auf sehr gewöhnliche Art erzählt: Der schwedische Film schildert nach einer wahren Geschichte, wie aus einer Betreuungseinrichtung für Behinderte ein Theaterzentrum wurde

Bewertung: 3
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Und jetzt tauchen wir mit den Schnürsenkeln wieder ins Wasser ein. Platsch. Dann machen wir mit dem einen Ende des Schnürsenkels eine Schlaufe und legen das andere Ende so darüber, und schon ist unsere Schleife fertig.« Kjell-Ake, Filippa, Ebbe, Katarina, Kristina und Leif sitzen um den Tisch herum, vor ihnen jeweils ein bunter Schuh. Seit acht Jahren schon üben die geistig Behinderten Woche für Woche das Schleifenbinden und bekommen es einfach nicht hin. Sie haben keine Lust mehr auf das stupide Training, aber ihre Betreuerin Hanna ist der Meinung, dass ihre Schützlinge alltägliche Fähigkeiten erlernen sollen. »Geduld und Struktur«, schärft sie dem neuen Mitarbeiter Alex ein, darauf komme es an in der Arbeit mit den Behinderten.

Der arbeitslose Schauspieler, der soeben von seiner Lebensgefährtin den Laufpass bekommen hat, versucht gerade selbst, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken, und das Jobcenter hat ihm eine Stelle in der Betreuungseinrichtung »Paradies« vermittelt. Mit seiner spontanen, aber nicht immer verantwortungsvollen Art gewinnt Alex schon bald die Herzen der Bewohner – und erntet den Argwohn von Eltern und Kolleginnen. Als er die Fantasiefähigkeit und musikalische Begabung der Behinderten entdeckt, beginnt er mit ihnen, Theater zu spielen. Ein erster Auftritt in einer TV-Talentshow endet im Desaster. Aber nachdem sie einmal Bühnenluft geschnuppert haben, wollen die neuen Amateurschauspieler nicht so schnell aufgeben.

Seit 1996 gibt es im schwedischen Hudiksvall das Glada-Hudik-Theater, das aus einem Tageszentrum für geistig behinderte Menschen heraus entstanden ist und mittlerweile auch in Stockholm, Göteborg und sogar am Broadway in New York Erfolge feiern konnte.

In Die Kunst sich die Schuhe zu binden erzählen nun die Regisseurin Lena Koppel und ihr Kodrehbuchautor Pär Johansson, der auch der Leiter des Theaters ist, die Entstehungsgeschichte des Projektes in einer fiktionalisierten Form nach. Die Stärke des Films sind die geistig behinderten Darsteller, die ihre Figuren souverän von der Stigmatisierung befreien und zu eigenen, originellen Charakteren ausbauen. Die dramaturgische Struktur des Films hingegen bleibt allzu überschaubar und orientiert sich an den Formatvorlagen amerikanischer Theater-, Musical- oder Sportfilme, in denen Außenseiter um ihre Anerkennung ringen. Die Ambition nach einem schweren Rückschlag führt sie schließlich zum Triumph. Etwas schematisch sind auch die nichtbehinderten Charaktere gezeichnet, wie etwa die Betreuerin Hanna, die die Lehrbuchsätze konventioneller Behindertenpädagogik prototypisch aufsagen muss. Immerhin zeigt der Film im Wechselspiel zwischen dem etwas chaotischen Alex und den geistig behinderten Menschen sehr gut, dass die Lernprozesse hier durchaus in beide Richtungen gehen. Ein wenig mehr Experimentierfreudigkeit hätte man allerdings der Filmemacherin gewünscht, die vom Ungewöhnlichen in einer allzu konventionellen Art erzählt, die der Geschichte außerhalb ihres Anliegens, zwischen den getrennten Welten von Behinderten und Nichtbehinderten zu vermitteln, zu wenig Raum zum Atmen lässt.

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