Mubi: »Pepe«

»Pepe« (2024). © MUBI

© MUBI

Wenn das Flusspferd erzählt

Haben Nilpferde ein Bewusstsein? Haben sie Erinnerungen, empfinden sie Trauer, können davon erzählen? Der dominikanische Filmemacher Nelson Carlo de Los Santos Arias macht in »Pepe« eines dieser Großwildtiere zum Protagonisten einer dokufiktionalen Auseinandersetzung über Kolonialismus, den globalen Süden und kollektive Traumata.

Pepe war eines der Flusspferde, die der kolumbianische Drogenkönig Pablo Escobar im Privatzoo seiner Hacienda Nápoles hielt. Wie Dutzende andere Tiere wurde Pepe nach dessen Tod 1993 im tropischen Regenwald ausgesetzt. Dort vermehrten sich die dort sonst nicht heimischen Flusspferde rasant und wurden zur Gefahr für einheimische Tierarten und Menschen. Pepe wurde gejagt und schließlich erschossen, im Film spricht nun sein Geist aus dem Jenseits zu uns.

Anfangs kommt da nicht viel mehr als »Ah!«, »Eh!« und »Oh!«, gutturale Laute. Bald aber erweist sich Pepe als eloquenter, reflektierter Redner, mal in Afrikaans, mal in Spanisch, mal in der namibischen Stammessprache Mbukushu (intoniert von unterschiedlichen Männerstimmen und digital bassverzerrt). Das Tier spricht von seiner Herkunft in Afrika, seinem ambivalenten Verhältnis zu den Zweibeinern und zur Sprache als Konzept und Ausdrucksmittel. »Woher kenne ich diese Worte? Woher weiß ich, was ein Wort ist?«, fragt Pepe. Und ist, unmöglicher Erzähler, der er ist, natürlich eine faszinierende Figur. Mal schlau, mal absurd komisch, aber nicht immer vertrauenswürdig. Und nicht immer verständlich.

Auch der Film selbst ist schwer zu fassen, springt zwischen Zeiten und Kontinenten, von Nachrichtenbildern über Escobars Tod und Großaufnahmen imposanter Nilpferdköpfe zu Drohnenflügen über majestätische Flusslandschaften. In einer der offensichtlichen Spielszenen gibt ein Fischer am Rio Magdalena in Kolumbien mit Geschichten über die Begegnung mit einer gefährlichen Bestie an, seine Frau glaubt ihm kein Wort.

Zuvor sind deutsche Touristen in einem Safaribus durch die namibische Steppe zu sehen, dem bis 1990 fremdverwalteten Südwestafrika. Der alte Name steht auch auf dem Reiseführer aus den Siebzigern, den eine Frau bei sich hat, aber »da hat sich nicht viel getan seitdem«, wie der Leiter der Safari versichert. Und empfiehlt darin das Kapitel über die »Mentalität der Einheimischen«, um Bescheid zu wissen, »wenn einem mal einer begegnet«. Und lässt dann noch die ein oder andere herablassende Bemerkungen fallen, als der namibische Busfahrer von den Mythen seines Volks erzählt, die den Tieren magische Kräfte zuschreiben.

Auch formal schöpft De Los Santos Arias in seiner »barocken Mischung« aus dem Vollen, wechselt von Farbe zu Schwarz-Weiß, von Breitwand zu 4:3, von Video zu Film, von Archivmaterial zu Cartoons. Als Fabel ist »Pepe« weitaus verspielter als andere Filme der letzten Jahre mit animistischen Protagonisten, ähnlich geschundene Kreaturen wie der Esel in Jerzy Skolimowskis »EO« oder die Kuh in Andrea Arnolds »Cow«, und auch weniger greifbar. Der Film entzieht sich gängigen Zuschreibungen, beeindruckt in einem Moment mit spektakulären Bildern, interessanten Beobachtungen oder unerwarteten Assoziationen, über Rassismus und menschliche Hybris etwa, und frustriert im nächsten mit seiner mäandernden Struktur und einer Haltung, die bisweilen selbstgerecht und manipulativ wirkt.

Der Film gibt einer Kreatur eine Stimme, spricht in dessen Namen, und benutzt damit ein ähnliches Mittel wie Mati Diop in ihrem Goldenen-Bären-Gewinner, der dokumentarischen Arbeit »Dahomey« über die Rückgabe der Beninstatuen, in der sie die Holzfigur eines Königs als raunend-fiktive Erzählerstimme einsetzt. In beiden Fällen fällt es schwer, aus diesen esoterisch aufgeladenen und didaktisch präsentierten Ideen und Bildern einen größeren Erkenntnisgewinn zu ziehen. Die Jury der Berlinale sah es anders. Sie ehrte De Los Santos Arias mit dem Preis für die beste Regie.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt