Netflix: »American Primeval«

»American Primeval« (Serie, 2025). © Netflix

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Die matschige Seite des Westerns

Schön ist es in diesem Westen nicht: Kaum dass Sara (Betty Gilpin) mit ihrem Sohn Devin (Preston Mota) im Fort Bridger ankommt, wird vor ihren Augen ein Mann erschossen und ein anderer aufgehängt. Es liegt viel Spannung in der Luft, lauter unansehnliche Gestalten, alle bewaffnet, beäugen einander misstrauisch. Außerdem ist es kalt und matschig. Sara will um jeden Preis weiter. Wie es sich für eine Western-Heldin gehört, liegt der Grund für ihre Eile aber nicht im Bedürfnis nach mehr Komfort, sondern in einer Vergangenheit, die sie einzuholen droht.

Mark L. Smith, der Schöpfer des jüngsten Netflix-Erfolgs »American Primeval«, hat das Drehbuch für »The Revenant« geschrieben, und wer will, wird mehr als eine Ähnlichkeit zu Iñárritus Schneewestern entdecken. Wie bei »The Revenant« ist der Plot von einer wahren Begebenheit inspiriert, mit Jim Bridger (Shea Wigham) gibt es sogar eine Figur, die als junger Mann (verkörpert von Will Poulter) an der Seite von Leonardo DiCaprios Hugo Glass dabei war. Erneut spielt die Handlung ausschließlich in winterlicher Landschaft, wo die Natur zu einem Hauptfeind des Menschen wird. Und wie damals gibt es einen erbarmungslosen Kampf aller gegen alle um Land und dann tauchen auch noch blutrünstige Franzosen auf. 1857 versucht der Mormonenführer Brigham Young, sich mit seinen Militias im Utah Territory gegen die föderale Staatsmacht zu isolieren, diverse Stämme amerikanischer Ureinwohner zeigen sich unwillens, ihre Jagd- und Siedlungsgebiete aufzugeben, und rundum sind alle bereit, für ein paar Dollar mehr schreckliche Taten zu begehen. In seinen Briefen nach Hause beklagt der hier stationierte Captain Edmund Dellinger (Lucas Neff ) denn auch vollmundig die Brutalität, die ihn skeptisch gegenüber der Zukunft der USA werden lässt.

Es wird also viel gemordet und gestorben in »American Primeval«, alle sechs Folgen sind ohne Intention zu Subtilität von Peter Berg inszeniert. Dennoch ist es nicht der vordergründig schonungslose Blick auf die Verhältnisse, die der klassische Western ja oft zu schön, in jedem Fall mit zu viel Fokus auf weiße Siedler erzählt hat, der zum Dranbleiben verführt. Vielmehr sind es die ungewöhnlichen Perspektiven, die hier zumindest im Ansatz eingenommen werden. Betty Gilpins Sara ist eine Frauenfigur, die sich nicht in die üblichen Schubladen von tugendhaft-empfindsamer Frontiersfrau oder taffer Sünderin einordnen lässt. Am anderen Ende der vielen Handlungsfäden widersetzt sich auch Mormonenfrau Abish (Saura Lightfoot-Leon), die ein Massaker überlebt und vom Stamm der Shoshonen verschleppt wird, angenehm den Erwartungen. Leider kommt insgesamt die Figurenentwicklung über all dem ausführlichen Abschlachten zu kurz. Die indigenen Charaktere wirken alle ein bisschen steif und nobel und Taylor Kitsch als Trapper dann doch zu eigenbrötlerisch. Allein der immer noch völlig unterschätzte Shea Wigham stiehlt als Bridger einmal mehr jede Szene, in der er auftaucht.

OV-Trailer

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