David Lynch:Richtet den Blick auf das Donut

»David Lynch – The Art Life« (2016). © NFP

»David Lynch – The Art Life« (2016). © NFP

Zum Tod von David Lynch

Mit den geheimnisvoll düsteren Klängen des Soundtracks von Stammkomponist Angelo Badalamenti (der Isabella Rossellini bei »Blue Velvet« das Singen beibrachte und einen Song komponierte, der Laura Dern wie von einer Brise in den Film wehen lässt) hat uns David Lynch Anfang der neunziger Jahre hypnotisch in die Welt des fiktiven Kleinstädtchen »Twin Peaks« hineingezogen, auf die Suche nach dem Mörder der Highschool-Schülerin Laura Palmer, deren Leiche im Plastiksack am Fluss gefunden wurde. Lynch war der erste berühmte Kinoregisseur, der das Fernsehen zur Spielwiese machte, mit einer Serie, die wie ein Kuckucksei im harmlos biederen TV-Nest landete, ein Genremix aus Krimi, Mystery, Horror und Seifenoper, der alle Regeln des Erzählens missachtete. Wer Laura Palmer wirklich getötet hat, verlor sich im Laufe der wuchernden Erzählung, in 30 Episoden, die mit ihrer traumartig entrückten Stimmung, surreal bizarren Erzählblüten und immer wieder aufblitzender Komik einen eigenartigen Sog entwickelten. Zweimal legte Lynch nach, 1992 mit dem Spielfilm »Twin Peaks: Fire Walk with Me«, der die letzte Lebenswoche von Laura Palmer rekapitulierte, und 2017 mit einer in mehreren Parallelhandlungen und Doppelgänger-Identitäten wuchernden dritten Staffel.
 
Geboren wurde David Lynch 1946 in einer Kleinstadt in Montana. Obwohl die Familie beruflich bedingt oft umziehen musste, beschrieb er seine naturnahe Kindheit als glücklich. Doch später werden in seinen Filmen hinter den schönen Oberflächen der heilen Vorstadtwelt düstere Visionen von Sex, Gewalt und Drogen nisten - hinter der freundlichen Ausstrahlung dieses großen jungenhaften Herrn mit dem üppigen Silberhaarschopf lag ein dunkles Reich finsterer Fantasien.

Als Teenager wollte David Lynch zunächst Maler werden, später studierte er an der Boston Museum School und der Pennsylvania Academy of the Fine Arts, bis er eines Tages in einem seiner Gemälde einen feinen Atemzug, eine sachte Bewegung imaginierte. Er kaufte sich eine 16mm-Kamera und begann mit Animationsfilmen zu experimentieren, die er zum Sound von Polizeisirenen in Endlosschleifen auf improvisierte Gipsflächen projizierte. Das Studium am American Film Institute in L.A. fand er dann aber so öde, dass es wohl schnell zu Ende gewesen wäre, hätte ihm der Direktor nicht eine alte Villa mit Gartenlaube, Werkstatt, Gesindehaus, Heuboden, Schuppen und Garagen zur Verfügung gestellt, als Studio für den Dreh seines Debütfilms »Eraserhead«.  Zehn Jahre nach der Geburt seiner Tochter Jennifer gab Lynch da seinen Ängsten als junger, werdender Vater alptraumhafte Gestalt. Den beunruhigend faszinierenden Schwarzweiß-Solitär, der sich mit Elementen von Science-Fiction, Punk und Bodyhorror allen Kategorien entzog, finanzierte er fünf Jahre lang, quasi Szene für Szene mit Zeitungsaustragen. Schon damals war David Lynch ein Freigeist, der nur dem eigenen Kompass folgte und den Einflüsterungen seines Unterbewussten, »Catching the Big Fish«, nannte er das in seinem Buch über Kreativität und Meditation.

In »Eraserhead« verschmolz er suggestive Bilder mit unheimlichem Sounddesign zu einer ganz eigenen Welt, deren Erschaffung ihm allemal wichtiger war als eine lineare Erzählung. Im Vergleich war danach der für 8 Oscars nominierte, auf der wahren Lebensgeschichte von John Merrick basierende »Elephant Man«, mit John Hurt in der Titelrolle fast schon klassisches Erzählkino, auch wenn Sound und Atmosphäre den ganz eigenen Lynch-Flair hatten. Mit Ausnahme des teuren Studio-Flops »Dune« haben seine Filme nie mehr als 15 Millionen Dollar gekostet und waren auch darum durch Final Cut-Rechte geschützt. »Dune« markierte auch den Anfang der intensiven Zusammenarbeit mit Kyle MacLachlan, der ihn in der Parallelwelt seiner Filme häufig vertrat, und wie Laura Dern als weibliches Pendant ein Wandler zwischen den Welten von unschuldiger Liebe und finsteren Perversionen war: »It's a strange world«, stellen die beiden in »Blue Velvet« immer wieder fest.
 
Man muss das Werk von David Lynch als Gesamtkunstwerk betrachten, als Lebensform, die er selbst als »Art Life« bezeichnete. Seine zehn Spielfilme und die bahnbrechende Serie sind eingebettet in ein in alle Richtungen wucherndes Universum, in dem es Zwerge gibt, die rückwärts reden, theatralische Rauminszenierungen, in denen man durch dunkelrote oder auch mal blaue Vorhänge in parallele Welten rutscht, in dem eine Kamerafahrt durch den Vorstadtgarten in eine unheimliche Erdreich-Unterwelt malmender Insekten führt, mit einem verwesenden Ohr als Schleuse zwischen Realität und Traum. Zahllose Kurzfilme hat Lynch erschaffen und Musikvideos, unter anderem für die Sparks, Chris Isaac und Donovan. Aus seinem Büro in Los Angeles hat er mehr als 150mal den lokalen Wetterbericht gesendet. Er hat fotografiert, komponiert, Möbel entworfen, Wohnungen eingerichtet, ein Meditationszentrum gegründet und sich später wieder stärker auf die Malerei konzentriert, in Collagen mit eingearbeiteten Objekten, in Gemälden, Lithografien, Zeichnungen, die wie die Filme immer auch Geschichten andeuten und Rätsel aufgeben. 

Mit überbordender Fantasie hat er eine ganze Lynch-Welt erschaffen, düster und abgründig, aber auch humorvoll, intensiv spürbar, aber nie eindeutig zu entschlüsseln. Um Crowdpleaser zu sein, waren seine Filme zu fremdartig und rätselhaft, aber sie nisteten sich ein ins kollektive Bewusstsein, wucherten weiter in den Arbeiten der Kollegen. »Stranger Things«, »Lost«, »Dark«, »The Leftovers« wären ohne ihn kaum denkbar. Dazu kamen charismatische Auftritte, in denen er mit silbrig keck hochgekämmtem Haar und nasal sonorer Stimme enorme Präsenz entwickelte, in den eigenen Filmen, aber auch bei Kollegen, etwa als John Ford in Stephen Spielbergs »The Fabelmans« oder in »Lucky«, wo er am Tresen einer Bar über das Verschwinden seiner geliebten Schildkröte Roosevelt lamentiert, die »so nobel wie ein König und so gutherzig wie eine Großmutter« sei.
 
In seiner Los Angeles-Trilogie, »Lost Highway«, »Mulholland Drive« und zuletzt noch, 2006, »Inland Empire«, hat er der Stadt der Engel eine Hommage bereitet, und sie zugleich als Sündenpfuhl satirisch zerlegt. Er liebte das magische Licht Kaliforniens und hat in seinen Filmen immer wieder die große Zeit des Hollywoodkinos der fünfziger Jahre beschworen, die Schatten des Film noir, den Glamour der Traumfabrik. Und schließlich hat er seinen eigenen Regeln widersprochen und in »The Straight Story« eine ganz ungewohnt lineare Geschichte erzählt, über einen alten Mann, der auf einem kleinen, fahrbaren John Deere-Sitz-Rasenmäher 400 km von Iowa nach Wisconsin tuckert, um seinen Bruder noch einmal zu sehen.
 
Viermal war David Lynch für den Oscar nominiert, als Autor und Regisseur von »Mulholland Drive«, »Blue Velvet« und »Elephant Man«, bekommen hat er immerhin 2019 den Oskar fürs Lebenswerk. Am 16.1.2025 ist David Lynch kurz vor seinem 79.Geburtstag gestorben. Auf Facebook hat seine Familie um Privatsphäre gebeten: Er habe ein großes Loch hinterlassen, aber man solle es tun wie er: »Richte den Blick auf den Donut und nicht auf das Loch!« Und schon kann man aller Trauer zum Trotz wieder ein bisschen schmunzeln, mit der tröstlichen Erinnerung an den Schalk im Blick von David Lynch.

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