Nosferatu: Der Immer-Wiedergänger
»Nosferatu – Phantom der Nacht« (1979). © 20th Century Fox
Robert Eggers' »Nosferatu – Der Untote« startet Anfang Januar im Kino. Am 8. Dezember präsentierte Werner Herzog seine 1979er-Version des Vampirklassikers, »Nosferatu – Phantom der Nacht«, im Filmmuseum München. Über einen Mythos, der nicht totzukriegen ist
Noch am selben Tag soll er aufbrechen: Jonathan Harker (Bruno Ganz) verlässt Wismar, verlässt seine Geliebte Lucy (Isabelle Adjani), um im Auftrag seines Arbeitgebers Renfield (Roland Topor) ein Grundstück an einen Adligen im Ausland zu verkaufen. Dieser Graf lebt in den Karpaten, »jenseits der Wälder«, also in Transsylvanien. Der Graf wird ohne Umschweife als Dracula vorgestellt, eine der bekanntesten mythologischen Figuren der neueren Kulturgeschichte. Natürlich läuft dem Zuschauer sofort ein Schauer über den Rücken. Doch Harker ist ahnungslos, reitet durch nächtliche Wälder, lässt sich auch von abergläubischen Bauern nicht aufhalten, läuft zu Fuß, als ihn kein Kutscher mehr mitnehmen will, durch karge Landschaften und felsige Schluchten (eindrucksvoll gefilmt in der Partnachklamm), um schließlich am schicksalhaften Schloss anzukommen. Dort erwartet ihn der bleiche Graf.
Ganz so nervenaufreibend war die Anreise für die meisten Besucher des ausverkauften Münchner Filmmuseums hoffentlich nicht, als dort am 8. Dezember Regie-Altmeister Werner Herzog zu seinem jährlichen Besuch kam. In den Tagen zuvor hatte er den Werner Herzog-Filmpreis verliehen und zeigte nun noch sein »Phantom der Nacht« in der restaurierten 4K-Fassung. Nach der Vorführung sprach er über die Umstände der Produktion und die Legenden, die sich um die Dreharbeiten ranken – woran Herzog selbst natürlich nicht ganz unschuldig ist.
Herzog hatte damals, Mitte der 1970er Jahre, eine »erfolglose Phase«, wie er sagt. »Aguirre – Der Zorn Gottes« lief nur kurz in den Kinos und der gebürtige Münchner zweifelte an seiner Zukunft als Regisseur. Die Filmkritikerin Lotte Eisner wusch ihm den Kopf: »Die Filmgeschichte erlaubt nicht, dass Sie aufhören!«, soll sie ihm gesagt haben, so Herzog. Sie empfahl ihm, sich das Weimarer Kino anzusehen, vor allem »Nosferatu« von Friedrich Wilhelm Murnau. Herzog wollte an die deutsche Filmgeschichte anknüpfen, in der seine Generation von Regisseuren »keine Väter« hatte, weil ihre Vorgänger für die Nazis gearbeitet hatten.
Herzog bezeichnet seinen Film nicht als Remake von Murnaus Film, denn »die Natur des Vampirs ist eine andere«. Max Schreck habe Nosferatu damals als »blutloses Insekt« gespielt, als »praying mantis«, sagt Herzog. Kinskis Figur hingegen leide darunter, unsterblich zu sein.
Da CGI 1978 noch Zukunftsmusik war, organisierte Herzog Tausende Ratten, die im Film im Schatten Draculas durch Wismar (als Kulisse diente das niederländische Delft) zogen und die Pest verbreiteten. Die Ratten stammten aus Laboren, waren allesamt weiß. Herzog wollte aber schwarze Ratten, also musste er sie färben und sprach dafür bei Wella Haarstudio in Darmstadt vor, wo er vor Lachen kaum mitteilen konnte, was er vorhatte. Die Ratten wurden in Farbe getaucht und anschließend geföhnt, damit sie keine Lungenentzündung bekamen. Dennoch wurde berichtet, dass viele Ratten bei den Dreharbeiten verendet seien. Herzog dementiert und warnt »grundsätzlich davor, den Medien zu trauen«.
Lieber erzählt er mehr von seinen Anekdoten: In der Nähe von Delft gerieten sie mit Bauern aneinander, weil die Ratten dort in einer Scheune gefüttert wurden und es Streit um die Bezahlung des Futters gab. Ein Bauer verweigerte dem Filmteam schließlich den Zugang zu den Ratten, es kam zu Handgreiflichkeiten. Herzog griff sich eine Eisenstange, schlug eine Delle in den Traktor des Bauern und drohte: »Der nächste Schlag trifft nicht die Maschine.« Der Bauer gab ihm den Schlüssel. »Den habe ich heute noch«, erzählte Herzog verschmitzt.
In Rumänien hätten sie drehen wollen, doch die damalige Regierung unter Nicolae Ceaușescu habe es strikt untersagt, weil der Diktator zuvor den Ehrentitel als ideeller Nachfahre des historischen Dracula-Vorbilds Vlad III. Drăculea erhalten hatte – und das sei nicht mit einem Blutsauger in Verbindung zu bringen. Stattdessen wurde Burg Pernštejn in Tschechien ausgewählt.
Das Intro, in dem mumifizierte Leichen zu sehen sind, hatten Herzog und sein Kameramann Jörg Schmidt-Reitwein in einer Gruft im mexikanischen Guanajuato gedreht. Diese Gruft hatte Herzog zufällig als junger Mann gesehen. Mittlerweile lagen die Toten allerdings in Glasvitrinen, also bestachen er und sein Kameramann die Wachleute mit Tequila, um die Mumien aus den Vitrinen heben und filmen zu können. »Die waren ganz leicht, weil sie ja völlig ausgetrocknet waren«, erzählt er.
Herzog würdigte ausführlich seine wiederholte Zusammenarbeit mit Schmidt-Reitwein, der im August 2023 verstorben ist. Schmidt-Reitwein und er seien eine »verschworene Gemeinschaft« gewesen. Seinen Tod könne er in seiner Seele nicht begreifen. »Das, was wir auf der Leinwand sehen, altert nie«, sagte Herzog. So sei auch Schmidt-Reitwein zwar »technisch tot«, aber »er lebt für die Filmkultur, wie man nur leben kann.«
Und nun, mehr als 45 Jahre nach Herzogs Film, mehr als 100 Jahre nach Murnaus Version, kommt »Nosferatu – Der Untote« in die Kinos. Warum der hasenzahnige, bleiche Vampir mit den spitzen Ohren auch heute noch fasziniert, erklärt Herzog so: »Das ist eine kulturgeschichtliche Metapher, die es seit der Antike gibt. Die ist nicht totzukriegen.« Mit Blick auf Eggers' Remake sagt er: »Ich wünsche ihm viel Glück. Er muss sich anstrengen, um einen Film zu machen, der so gut ist wie meiner.« Aber der Stoff sei so gut, »er kann es eigentlich gar nicht verblödeln«. Und vielleicht komme in 50 Jahren wieder ein junger Filmemacher auf die Idee, den Blutsauger wiederzubeleben und auf die Welt loszulassen.
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