Kritik zu Sleepy Hollow

© Constantin Film

Wissenschaft trifft Aberglaube in Tim Burtons wunderschönem Schauermärchen

Leserbewertung
3.5
3.5 (Stimmen: 2)

In dem verschlafenen Nest Sleepy Hollow treibt ein berittener Säbelschwinger sein Unwesen. Bereits vier Bürger fielen ihm zum Opfer, ließen ihren Kopf. Das zuständige Polizei-Revier im fernen New York weiß keine Erklärung für die Mordfälle, die sich droben am Hudson River zutragen. Konstabler Ichabod Crane (Johnny Depp) wird in die entlegene Provinz gesandt, um nach dem Rechten zu sehen. Es wird schon eine den Gesetzen von Logik und Vernunft gehorchende Begründung geben für die mysteriösen Vorfälle, die sich dort ereignen.

Wir schreiben das Jahr 1799, kurz vor der Jahrhundertwende. Cranes wissenschaftlicher Ansatz ist verpönt im Dorf, wo man lieber Spukgeschichten glauben möchte. Der Legende nach soll der "kopflose Reiter" (Christopher Walken) über das Dorf gekommen sein, ein ehemaliger deutscher Söldner, der sich im Unabhängigkeitskrieg gegen die Amerikaner auf grausamste Weise unrühmlich verhalten hat und schließlich mit seinem eigenen Schwert geköpft wurde. Als Ichabod Crane die Gräber der Ermordeten exhumieren lässt und die Leichname mit seinen seltsamen selbst gebauten Geräten obduziert, sind die Einwohner empört. Dass sich die Wissenschaft erst kürzlich von der Metaphysik emanzipiert hat, ist auch Cranes aufgeregtem Tun leicht anzumerken. Angst packt ihn, als er dem schrecklichen Reiter persönlich begegnet und eine "Enthauptung" hautnah miterlebt.

Dem Zuschauer gehen die rollenden Köpfe weniger nah. Dazu gibt es zu viele ironisierende Brechungen innerhalb der Dramaturgie und zahllose Verweise auf Burtons frühere Werke, besonders auf Edward Scissorhands. Sleepy Hollow ist ein Meisterwerk an visueller wie emotionaler Stimmung, Burtons bislang bester Film. Der für seinen eigenwilligen Stil bekannte Regisseur stellt mit Sleepy Hollow seine gestalterischen Möglichkeiten vollendet unter Beweis. Schlafwandlerisch sicher setzt er die filmischen Mittel ein, schwingt sich beim Set Design zu wahrer Meisterschaft empor. Von der Landschaftsmalerei der Hudson River School beeinflusst, entfaltet sich vor unseren Augen eine suggestive (Alp-)Traumlandschaft, düster und melancholisch, mit viel gothic mood, bis in den Hintergrund beseelt von erhabener Naturhaftigkeit, flirrenden Gewässern, dunklen, schweren Wolkendecken, endlosen Feldern und finsteren Wäldern, durch die viel Nebel wabert. Von der elegischen Melodiösität des Scores von Danny Elfman getragen, schwelgt Sleepy Hollow im Rausch seiner visuellen Opulenz.

Mit dem Schauermärchen, das auf eine Kurzgeschichte von Washington Irving zurück geht (ihrerseits inspiriert von deutschen Sagen), erzählt Tim Burton abermals eine seiner liebenswerten Außenseitergeschichten: den Einzug der Vernunft ins abergläubische Hinterland. Sleepy Hollow ist kein Horrorfilm - allenfalls eine Hommage an den romantischen Horror des Hammer Studios (Christopher Lee hat eine Nebenrolle) -, sondern eine Kriminalgeschichte. Und viel mehr als an der unstandesgemäßen Liebesgeschichte zwischen Ichabod Crane und Katrina Van Tassel (Christina Ricci), der Tochter des reichen Gutsbesitzers (Michael Gambon), die Irving akzentuiert hatte, ist Burton am der Geschichte innewohnenden Widerspruch von Aufklärung und Romantik interessiert, den er mit einer guten Portion Humor umsetzt. Besonders der Darstellung Johnny Depps ist hier zu verdanken, dass der Film zwischen Pathos und Ironie die Waage hält. Hin- und hergerissen von seinen Emotionen, Traumata, Visionen und Wünschen spielt Johnny Depp eine exzentrische Figur, deren Imagination die ganze Spukgeschichte entstammen könnte.

Auch der uncredited rewrite von Tom Stoppard (Brazil, Shakespeare in Love) wird ein Drehbuch humorvoll abgefedert haben, das Andrew Kevin Walker (Seven, 8mm) zwar genregerecht und fintenreich verfasst hat, aber nicht unbedingt Burton-like. Tim Burton ist immer wieder vorgehalten worden, das Narrative zu Gunsten des Visuellen zu opfern, mehr Wert auf die Anekdote als auf den erzählerischen Zusammenhang zu legen. Hier aber gehen Form und Inhalt eine harmonische Beziehung ein, finden zu einer stimmigen Synthese. Nach dem grellen Mars Attacks! (1996), mit dem der Regisseur vor allem die Ideologie der Hollywoodschen production values veralbert hatte, besinnt sich Tim Burton seiner künstlerischen Herkunft, die tief verwurzelt ist im Horrorfilm der vierziger und im B-Movie der fünfziger Jahre. 

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