Kritik zu Frau aus Freiheit

© Salzgeber

Empathisch, mit wenig Dialog und poetischer Bildsprache erzählte Lebens- und Liebesgeschichte einer Transfrau vor der Folie der polnischen Geschichte von den 1970ern bis in die Gegenwart

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Eine Binsenweisheit filmischen Erzählens lautet: »Show, don't tell.« Gemeint ist damit, Geschichten nicht durch wortreiche Erklärungen zu vermitteln, sondern durch die Handlung, die Figuren und deren Interaktion miteinander. »Frau aus Freiheit« hält sich sehr streng an dieses Prinzip: 132 Minuten zeigen 45 Jahre aus dem Leben einer Transfrau im konservativen Polen, von den 1970er Jahren bis heute. Dialoge sind sparsam platziert, vieles funktioniert nur über Blicke, Andeutungen, Zeitsprünge und Rückblenden.

Schon als Kind ist Andrzej Wesoły – wie er da noch heißt – anders. Alle merken es, niemand spricht darüber. Zum Beispiel wenn er bei der Kommunion sehnsüchtig und verstohlen die Mädchen in ihren Kleidern beneidet. Als junger Mann trifft er Iza, es ist Liebe auf den ersten Blick. Sie heiraten, bekommen ein Kind, sind glücklich. Aber auch Iza fühlt bald, dass Andrzej anders ist. Er selbst wird im Verlauf der Jahre immer introvertierter. Zieht sich zurück, schreibt heimlich Tagebuch. Irgendwann – da ist der erste Sohn schon erwachsen, die jüngste Tochter ein Kindergartenkind – hält er es nicht mehr aus und offenbart Iza, dass er eine Frau ist und künftig auch als solche leben will. Er nennt sich fortan Aniela, und ein für ihn schwieriger Prozess beginnt. Bis dahin ist kaum ein Wort gefallen. 

Małgorzata Szumowska und Michał Englert haben für »Frau aus Freiheit« eng mit der polnischen Trans- und LGBTQI+-Community zusammengearbeitet. Anielas Geschichte ist keine, die auf einer wahren Person basiert, sie vereint verschiedene Erfahrungen Betroffener. Die Sprachlosigkeit der ersten Filmhälfte korrespondiert mit Anielas Gefühlswelt. Wenn die Worte fehlen, die eigene Situation zu beschreiben, und es keine Vorbilder zu geben scheint, die ähnlich fühlen. Was bleibt, ist nur die tiefe innere Überzeugung, dem eigenen Leben aus der Distanz beim Vergehen zuzusehen. Für das konservative und katholisch geprägte Polen trifft das besonders zu. Frauen- und LGBTQI+-Rechte haben in den letzten zehn Jahren einen drastischen Rückschlag erlebt. Eine Personenstandänderung ist zwar heute möglich. Alle Transpersonen müssen aber zuvor ihre Eltern verklagen, Verheiratete die Scheidung beantragen, da eine gleichgeschlechtliche Ehe juristisch ungültig ist. 

All das zeigt »Frau aus Freiheit«, getragen von der wunderbaren Hauptdarstellerin Małgorzata Hajewska-Krzysztofik, die zunächst zaghaft, dann immer mutiger den für sie einzig gangbaren Weg wählt. Auch die Chemie zwischen Aniela und ihrer Frau Iza (Joanna Kulig) vermittelt sich ohne große Worte als berührende Liebesgeschichte. In Kombination mit der teilweise achronologischen Erzählweise, die in poetischen Bildern und in kunstvoller Dramaturgie mit sorgfältig gesetzten Ellipsen und Rückblenden arbeitet, verdichtet sich alles zu einem fordernden, aber tröstenden Film. Allein für den historischen Kontext, vor dessen Folie sich die Geschichte entfaltet – von den Anfängen der Solidarność 1980 über den Zusammenbruch der Sowjetunion bis ins gegenwärtige Polen – hätte es etwas mehr Erklärung statt bloßes Zeigen gebraucht. Zumindest für alle, die keine Osteuropa-Expert*innen sind.

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