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Catherine (Cate Blanchett) ist als preisgekrönte Enthüllungsjournalistin zur Ikone geworden. Sie ist überdies blond, schön und sophisticated, ihr Mann Robert (Sacha Baron Cohen), ein Millionenerbe mit NGO, verehrt den Boden unter ihren Füßen. Kurz, diese tolle Frau ist das perfekte Hassobjekt. Als sie, auf dem Gipfel ihres Ruhms, einen Roman mit dem Titel »The Perfect Stranger« zugeschickt bekommt, blickt sie in den Abgrund. Er handelt vom Tod eines jungen Engländers in Italien, an dem eine manipulative Geliebte die Schuld trägt. Catherine weiß nur zu gut, dass sie das Vorbild dieser toxischen Antiheldin ist und versucht panisch, den Schaden einzudämmen. Doch der pensionierte Lehrer Steven (Kevin Kline), der den Roman veröffentlicht hat, ist ihr stets einen Schritt voraus. Planvoll infiltriert er das Leben ihres Mannes, ihres Sohnes und ihr berufliches Umfeld und geht dabei bis zum Äußersten.
Alfonso Cuarón macht in dieser Serie seinem Ruf als Filmemacher, der noch dem trockensten Stoff die Intensität einer antiken Tragödie verleihen kann, alle Ehre. Große Gefühle, archaische Triebe und herzzerreißende Trauer sind so intrinsisch verkettet und mit einer solch treffsicheren Ästhetik inszeniert, dass man kaum den Blick abwenden kann. Tatsächlich fordert der in mehreren Ebenen verschachtelte Psychothriller die volle Aufmerksamkeit, entwickelt aber mit der fortlaufenden Infizierung der Wahrnehmung durch das Phantasma und der Erklärung der Gegenwart durch die Vergangenheit einen gewaltigen Sog.
Der Fluch nimmt seinen Anfang mit sonnendurchfluteten Szenen des Italientrips eines blutjungen Liebespärchens. Als seine Freundin wegen eines familiären Notfalls heimkehren muss, reist der 19-jährige Jonathan allein weiter. An einem Strand fotografiert er mit seiner teuren Kamera (wir befinden uns in der Prä-Smartphone-Ära) eine schöne Unbekannte, die mit ihrem fünfjährigen Sohn unterwegs ist. Sie entpuppt sich als blonde Sirene, die den naiven Jonathan nach allen Regeln der Kunst vernascht. Die Laszivität dieser Verführung, die Fleischeslust, das überwältigende Begehren und die Fotos, die Jonathan von dieser Frau macht, erinnern an einen hochklassigen, leicht perversen Softporno. Und triggern sowohl Voyeurismus wie Ressentiment.
Entdeckt werden die Fotos zusammen mit einem Manuskript durch Zufall, von Steven. Seit dem Tod von Jonathan und dem Krebstod seiner Frau Nancy hat er 20 Jahre nurmehr dahinvegetiert. Nun verleiht ihm das Bedürfnis nach Rache neuen Antrieb. Auf seinem von Nancys Manuskript angetriebenen Vernichtungsfeldzug gegen das Biest lernt er sogar den Umgang mit Social Media.
Die Falle, die Cuarón seinerseits dem Zuschauer stellt, verdankt ihre Wirksamkeit nicht allein den leuchtenden Trugbildern, sondern ebenso den Darstellern. Cate Blanchett als Karrierefrau Catherine – ihr jüngeres Alter Ego wird von Leila George verkörpert –, die erbittert gegen die Vernichtung ihrer Existenz ankämpft, ist großartig. Sacha Baron Cohen, sonst ein gnadenloser Spötter, ist als schwacher Ehemann, der sich seiner Frau stets unterlegen fühlte, eine Entdeckung. Kaum wiederzuerkennen ist Kevin Kline als Rachegott, der sich auf seiner Hexenjagd als bemitleidenswerter Tattergreis tarnt.
Die Handlung wird von einem Off-Kommentar untermalt, der, wie ein Hörbuch, dem Gezeigten zusätzlich Geltung verleiht. Ein Augenschmaus ist die sprechende Kulisse, etwa Stevens muffige Wohnung voll erstarrter Trauer. Die Bilder, stets einen Hauch hyperreal und verrutscht, führen einen dennoch lange aufs Glatteis. Die Auflösung dieses Psychodramas ist brandaktuell, zeigt sie doch, wie viel Frauen erdulden müssen, um nicht nur gesellschaftlich zu überleben. Daneben führt Cuarón gerade durch seine Virtuosität vor, wie sehr Filme ein Medium der Manipulation sind. Und nicht nur das: die Bilder im Kopf, durch sehen, lesen, hören erzeugt, bilden auch die Lügen ab, die wir uns selbst erzählen.
OV-Trailer
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