Zwischen von und in liegt ein Planet
Wie es sich für einen Blockbusterfabrikanten gehört, macht Roland Emmerich stets große Pläne. In dieser Woche verkündete er im "Hollywood Reporter", dass er »Lawrence von Arabien« neu verfilmen will. Die fatale Remake-Frage nach der Notwendigkeit stellt sich hier doppelt, denn tatsächlich gibt es längst schon eine vollgültige Neuinterpretation des Stoffes.
Emmerich stellt sich das Projekt als eine Miniserie vor, die drei Staffeln umfassen soll. Es soll allerdings »Lawrence in Arabia« heißen und neben dem Titelhelden mehr Hauptfiguren aufweisen. So oder so wird er sich damit auf unvertrautes Terrain wagen, denn mit enigmatischen, zwiespältigen Charakteren musste der Goldjunge aus Stuttgart sich bislang nicht beschäftigen. Zuvor wird er ohnehin wohl erst noch die zweite Staffel der Gladiatorensaga »Those about to die« drehen, mit der er ja ebenfalls in große Fußstapfen trat.
David Lean, der seiner Karriere 1962 mit »Lawrence von Arabien« das Glanzlicht aufsetzte, verstand etwas von ambivalenten Protagonisten. Zusammen mit seinem Drehbuchautor Robert Bolt gelang ihm seine bezwingendste Studie der Zerrissenheit. Sie zeichnen T.E. Lawrence als Soldaten und Träumer, als Freiheitskämpfer und Agenten des britischen Empire, als entfremdeten Helden, der ferne Welten im Namen einer Kultur erobert, die er eigentlich hinter sich lassen wollte. Es gehörte immense Kühnheit dazu, in den Mittelpunkt eines solchen Epos eine Figur zu rücken, die aller Welt und sich selbst bis zum Schluss ein Rätsel bleibt.
Das Gleiche lässt sich mit Fug und Recht über Paul Atreides sagen, den Helden des "Der Wüstenplanet“-Romanzyklus' von Frank Herbert. Diese Verwandtschaft wurde mir vor drei Jahren beim Sehen des ersten Teils von Denis Villeneuves Dune-Adaption noch nicht bewusst (allerdings wies Sabine Horst in ihrer Kritik schon in diese Richtung, wie ich jetzt feststellte) , bei der Fortsetzung jedoch umso mehr. In »Dune Part Two« nimmt Pauls Initiationsgeschichte ja erst richtig an Fahrt auf. Er wird zum Anführer der Fremen, die bereits bei Herbert Nachfahren eines arabischen Volksstammes sind. Zunächst schlagen Paul Skepsis und Misstrauen entgegen. Die Demut des Fremden beschwichtigt seine neuen Waffenbrüder: "I'm not here to lead. I'm here to learn at your side". Er will ihre Gebräuche und Riten entdecken. Faszinierend, wie irdisch dieser Weltenentwurf in der Zukunft gedacht ist, wie tief er verwurzelt ist in einer zu diesem Zeitpunkt erloschenen Zivilisation. Beim Kostümbild ist das offensichtlich; die Gesichter der weiblichen Fremen sind mit Schriftzeichen verziert.
Bald dringen die unterschiedlichen Kulturen zueinander durch. Stilgar, ihr bisheriger Anführer, erklärt Paul zu ihrem Madhi, ja zum Messias. Er muss sich bewähren: "The Prophet shall know the way of the desert." Paul fordert die Wüste heraus. Der Ritt auf dem Sandwurm gelingt bravourös. In der Folge erweist er sich als ein Kriegsherr, der die Unerbittlichkeit der Natur mit großen strategischen Geschick nutzt. Ein "Heiliger Krieg" bricht aus, Paul soll das Volk in das "Grüne Paradies" führen, das zurückgewonnen werden soll.
Wer seit 1962 die Wüste filmt, nimmt selbstverständlich an Lawrence Maß. Vielleneuve und sein Team haben seit dem ersten Teil mächtig dazugelernt, sie geben sich diesem Schauplatz noch entschlossener hin (siehe Eintrag "Der Sandmann" vom 25.9. '21). »Dune Part Two« hat nicht nur etliche Drehorte in Jordanien mit Leans Film gemeinsam. Er zitiert, wenngleich nicht so ausdauernd und spekakulär, auch die berühmte Einstellung, in der Omar Sharif als kleiner Punkt in einer Luftspiegelung auftaucht. Die Horizontfigur, die aus der Unschärfe heraustreten muss, ist nun Paul - ein Perspektivwechsel der Exotik gewissermaßen.
Um zu erfahren, ob Leans Film möglicherweise einen Einfluss auf Herberts Romane hatte, zog ich meinen Freund Bodo Traber zu Rate, der sich in allen Belangen der Science Fiction bestens auskennt. Er findet Villeneuves Arbeiten in diesem Genre etwas zu prätentiös, aber er mag gut erzählte Geschichten. Ihm verdanke ich den obigen Hinweis auf die Abkunft der Fremen. Bodo bewundert die kluge Deutungsoffenheit von Herberts Roman, dessen prophetische Gabe, bereits anti-kolonialistische Ideen aufzugreifen. Er bezweifelt einen unmittelbaren Zusammenhang mit Lawrence, zumal der erste Dune-Roman bereits kurz nach dem Filmstart veröffentlicht wurde.Ich hatte unterdessen herausgefunden, dass der Produzent der ersten »Planet der Affen«-Saga, Arthur P. Jacobs, die Rechte am ersten »Wüstenplanet« erworben hatte, den entweder Franklin J. Schaffner oder David Lean auf die Leinwand bringen sollten. Es gab offenbar ein fertiges Drehbuch von Lean und Bolt, aber das Projekt wurde 1973 aufgegeben.
Bodo fand die Parralelen zu Lawrence ebenfalls bestechend. zumal die Vorstellung des Dchihad, die seinerzeit noch nicht beanstandet wurde (siehe Deutungsoffenheit). Ich gab zu Bedenken, dass sie noch weit über das Kriegsgeschehen sowie Lawrence`/ Pauls Führungsrolle hinausgehen. Sie liegen im existenziellen Zweifel. Beide hadern mit dem Mandat, das ihnen angetragen wird. Es ist übermenschlich. Zu Leans Zeiten hätte man das mit Kipling wohl noch die Bürde des weißen Mannes genannt. Villeneuve muss heute aufgeklärter darangehen. Lawrence' Optimismus ("Nothing is written!") erlischt, als er jäh einen Begriff seiner körperlichen und spirituellen Grenzen bekommt. Was fürchtest Du, wird Paul in »Dune Part Two« von seinem treuen Weggefährten Gurney gefragt. Die Verehrung, erwidert er.Anfangs waren die Fremen Freunde, nun sind sie Anhänger.
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