Kritik zu Alois Nebel
Der tschechische Regisseur Tomás Lunák hat einen großartigen Animationsfilm über die Schatten der Vergangenheit gedreht.
26.11.2013
Bewertung: 4
Leserbewertung
(Stimmen: 2)
Dieser Film liebt die harten Kontraste, ein gnadenloses Schwarzweiß. Ein Zug kommt aus der Tiefe des Raumes, aus einer leicht geöffneten Tür fällt gleißendes Licht, Scheinwerfer von Autos, die auf uns Zuschauer zurasen, Schatten, die an der Wand entlangtanzen. Eine alptraumhafte Atmosphäre, die einem förmlich den Boden unter den Füßen wegzieht.
Auch die Welt von Alois Nebel kommt ins Wanken. Er ist Stationsvorsteher in einem kleinen Bahnhof namens Bily Potok, zu dem keine Ortschaft gehört, irgendwo im Nichts des (heute) dünn besiedelten Altvatergebirges, einem Teil des Sudetenlandes, an der tschechischen Grenze zu Polen. Nebel liebt die Ordnung, die Pünktlichkeit, sein Mitarbeiter Wachek dagegen treibt regen Tauschhandel mit den Russen, und da findet in diesen Tagen des denkwürdigen Jahres 1989 ein regelrechter Ausverkauf statt. Und Nebel hat Heimsuchungen, immer wieder donnert ein Zug an seiner Dienstwohnung vorbei. Es sind die Gespenster der Vergangenheit, seiner wie der Gegend, in der er lebt.
Die Züge waren es, die im 20. Jahrhundert das Unrecht und die Gewalt transportierten. In sie wurden auch die Deutschen verladen, die 1945 und 1946 vertrieben und ausgesiedelt wurden. Es ist eine Erinnerung, die Alois Nebel immer wieder heimsucht, der Bahnhof von Bily Potok, der auf deutsch Weißbach hieß, eine Erschießung, die Vergewaltigung einer Deutschen. Der junge Regisseur Tomas Lunak hat sich an ein Thema gewagt, das jahrzehntelang ein Tabu in Tschechien war: die Vertreibung der drei Millionen Deutschen in den böhmischen Ländern. Es gerät allerdings immer mehr in das Blickfeld der Öffentlichkeit und sorgte, spätestens als das tschechische Fernsehen die Doku »Töten auf Tschechisch« ausstrahlte, für Gesprächsstoff.
Schon die Vorlagen für Alois Nebel, drei ab 2003 erschienene Graphic Novels von Jaromir 99 und Jaroslav Rudis, sorgten für Aufsehen. Tomas Lunak hat sie im Rotoskopie-Verfahren animiert, mit dem von Darstellern gespielte Realfilmszenen quasi abgezeichnet werden – ein Verfahren wie etwa aus Richard Linklaters A Scanner Darkly oder Ari Folmans Waltz With Bashir. Aber die Macher von Alois Nebel haben dem Material alle Farbigkeit ausgetrieben und kreieren eine scherenschnittartige Düsternis, die den Bogen spannt von den Ereignissen nach dem Krieg bis zu den letzten Tagen des Sozialismus. Alois Nebel reißt den Zuschauer mit in den hypnotischen Sog seiner rauen, kantigen SchwarzWeiß-Bilder, die einem noch lange nachgehen.
Alois Nebel, der 2011 in die tschechischen Kinos kam und 2012 auch den Europäischen Filmpreis gewann, ist aber mehr ein animierter Neo Noir denn Geschichtsbewältigung. Nebel kommt durch die Machenschaften seines Kollegen in ein Sanatorium, wo er den „Stummen“ trifft, der dort mit Elektroschocks behandelt wird und dessen Schicksal, wie sich herausstellt, mit dem seinen verknüpft ist. Als Nebel entlassen wird, ist die Welt nicht mehr dieselbe. Der »Stumme« wird blutig Rache nehmen, für das, was in der Vergangenheit passiert ist. Und eine regelrechte Sintflut die Dämonen wegspülen.
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