Kritik zu Das Flüstern der Felder
Nach dem Erfolg von »Loving Vincent« adaptiert das Regieduo Dorota Kobiela und Hugh Welchman den epischen Roman »Die Bauern«, für den Wladyslaw Reymont 1924 den Literaturnobelpreis erhielt
Es ist Herbst, die Zugvögel verabschieden sich in den Süden und das Leben im Dorf Lipce könnte nun gemächlicher verlaufen. Aber die ersten Bilder bersten vor Übermut. Alles ist in Bewegung, die ländlichen Szenerien wechseln sich in atemlosem Tempo ab. Beschwingt folgt die Kamera dem Flug der Samen einer Pusteblume; keinen einzigen will sie aus den Augen verlieren.
In ihrem neuen Film gehen Dorota Kobiela und Hugh Welchman einen kühnen Schritt weiter. Die Kamera, die in »Loving Vincent« noch statisch war, ist nun entfesselt. Agil erfasst sie das Bauernleben in all seinen Regungen und lässt insbesondere die Tanzszenen, die später Wendepunkte im Verlauf der Handlung markieren, zu einem kinetischen Rausch werden. Ihre Dynamik bekräftigt einen Ruf nach Freiheit, der vergeblich bleibt in einer abgeschlossenen Welt, die seit Jahrhunderten den gleichen ehernen Regeln gehorcht.
Umso mühsamer und aufwendiger muss der Produktionsprozess diesmal gewesen sein. Eine Hundertschaft von Künstlern aus vier mitteleuropäischen Ländern haben für »Das Flüstern der Felder« rund 40 000 Einzelbilder handgemalt, die sich über die realen Darsteller und Landschaften legen.
Das Drehbuch verschlankt die tausendseitige Bauernchronik von Wladyslaw Reymont radikal, tilgt zahlreiche Nebenhandlungen, behält jedoch deren Struktur bei, die vom Wechsel der Jahreszeiten und der Liturgie des Kirchenjahres bestimmt wird. Im Kern erzählt es ein Melodram um Eifersucht, Missgunst und Engherzigkeit. Auf Geheiß ihrer Mutter soll Jagna (Kamila Urzedowska, die eine polnische Schwester Margot Robbies sein könnte) den reichsten Bauern im Dorf heiraten, Maciej Boryna (Miroslaw Baka, der einst von Krzysztof Kieslowski entdeckt wurde). In Wahrheit liebt sie jedoch dessen ältesten Sohn, Antek (Robert Gulaczyk), der vom Vater wie ein Knecht behandelt wird. Es ist eine lodernde Leidenschaft, die sich bei einem Tanzvergnügen überschwänglich zu erkennen gibt. Jagnas Schönheit und freigeistiges Wesen – sie ist für die Feldarbeit nicht geschaffen, sondern fertigt lieber kunstfertige Scherenschnitte an – schüren ohnehin schon seit langem den Argwohn der schwatzhaften Nachbarn, die ihr zahlreiche Liebeleien unterstellen.
Während bei »Loving Vincent«, der von den letzten Lebenstagen van Goghs handelt, ein inniger Bezug zwischen dem Thema und der »malerischen« Form auf der Hand lag, stellt sich hier die Frage, ob sie für diesen Stoff unabdingbar ist. Tatsächlich läuft die Ästhetik dem Realismus des Romans zuwider. Ihr Prinzip ist die unablässige Verwandlung, die Überschreibung der Wirklichkeit. Sie lässt die Konturen vibrieren, aber ein wenig auch die Verhältnisse. Die starrköpfigen Dorfbewohner verändern sich nicht; sie missbilligen alles, was über ihren Horizont hinausreicht. Aber die Gefühle der Hauptfiguren sind im Fluss. Der Ruf nach Freiheit bleibt vielleicht doch nicht unerhört.
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