Kritik zu Ellbogen

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Bewegende Geschichte einer jungen Frau mit türkischen Wurzeln, die ­keinen Platz in der Gesellschaft findet – nach dem Roman von Fatma Aydemir

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Hazal ist Berlinerin, im Wedding aufgewachsen. Trotzdem gehört sie nicht dazu. Bei Bewerbungsgesprächen bekommt sie das täglich zu spüren. Denn Hazal ist Deutschtürkin. Selbst ihre Eltern legen ihr nah, doch bei der Nachbarin als Friseurin zu arbeiten. Aber die »Opfertour« läuft bei ihr nicht, sie will leben, eine Perspektive haben, ihren Platz in der Gesellschaft finden, in der sie aufgewachsen ist. Aslı Özarslan erzählt in ihrem vielschichtigen Drama »Ellbogen« nach dem gleichnamigen Roman von Fatma Aydemir von Alltagsrassismus, systemischer Ausgrenzung und jungen Menschen, die eben nicht die gleichen Chancen haben wie viele andere.

Ihren trotzigen Lebensmut behält Hazal (Melia Kara) vor allem, wenn sie mit ihren Freundinnen zusammen ist. Mit ihnen kann sie lachen, unbeschwert sein, reden, kiffen, ausgelassen feiern und von einer besseren Zukunft träumen. Gerade fiebert sie ihrem 18. Geburtstag entgegen, mit dem sich, so will sie glauben, vieles ändern wird und an dem sie mit ihren Freundinnen in einem angesagten Berliner Club feiern gehen will. Mächtig aufgebrezelt machen sie sich auf den Weg. Doch schon in der Schlange stellen sie fest: Alle anderen tragen Turnschuhe, sie gehören nicht dazu. Prompt lässt sie auch der Türsteher abblitzen. Es ist nicht nur eine Enttäuschung, es ist eine krasse Zurückweisung.

Als sie dann in der U-Bahn-Station von einem jungen Typen belästigt werden, entlädt sich der ganze Frust der jungen Frauen in unbändiger Aggression und Brutalität. Die Situation eskaliert und Hazal flieht Hals über Kopf nach Istanbul, wo ein Freund (Doğa Gürer) aus Berlin lebt. Auch er wollte oder musste das Land nach einer Haftstrafe verlassen. »Bist du auch eine von denen, die aus Deutschland abgeschoben wurden?«, wird später Mehmets Mitbewohner Hazal fragen. Es ist eine der vielen kleinen Szenen, in denen Özarslan, die mit Claudia Schaefer auch das Drehbuch geschrieben hat, wie nebenbei von den politischen Begebenheiten erzählt, von der Situation der Kurden in der Türkei wie in Deutschland, den Repressionen durch Erdoğan.

Dabei fokussiert sich Özarslan ganz klar auf Hazal, wie sie rotzig, oft derbe mit ihren Freundinnen spricht, rebellisch agiert, aber auch verletzlich resigniert. Sie folgt ihr schweigend durch die Straßen Istanbuls, wenn sie voller Verzweiflung in einem Internetcafé die Nachrichten aus Berlin verfolgt, einsam auf dem Bett liegt oder panisch ihren Ausweis in der Toilette herunterspült, als die Polizei vor der Tür steht. Die aber ist gar nicht auf der Suche nach ihr, sondern nach dem politisch aktiven Mitbewohner.

Hazal ist schwer zu greifen in ihrer jugendlichen Rebellion und Trotzigkeit. Melia Kara verleiht dieser oft noch kindlichen und dann so entschlossenen Figur eine vielschichtige Authentizität. Man folgt ihr durch dunkle Gassen und in schummerige Räume ebenso wie in ihr getriebenes Inneres, das nicht weiß, wo es hinsoll. Es ist ein erschütternder Film, für den man sich – um Hazal und der deutschen Gesellschaft willen – ein gutes Ende wünscht.

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