Kritik zu Dìdi
Der taiwanesisch-stämmige Amerikaner Sean Wang erzählt, ganz offenbar inspiriert von vielen eigenen Erfahrungen, aus dem Leben eines 13-Jährigen, der im Jahr 2008 das Skaten und das Flirten lernt
Dass das eigene Leben gerade jungen Filmschaffenden meist als ergiebigster Fundus für Ideen taugt, ist keine neue Erkenntnis. Doch der Amerikaner Sean Wang beackert dieser Tage seine persönliche Biografie noch ein wenig erfolgreicher als andere. Erst zu Beginn des Jahres war er für den entzückenden Dokumentar-Kurzfilm »Nai Nai & Wài Pó« (übrigens zu sehen bei Disney+), in dem er das Zusammenleben seiner beiden aus Taiwan stammenden Großmütter zeigt, für einen Oscar nominiert. Und in »Dìdi«, seinem ersten langen Spielfilm, erzählt er nun leicht fiktionalisiert aus der eigenen Jugend – und wurde dafür in Sundance mit drei Preisen bedacht.
Wangs Alter Ego Chris ist im Sommer 2008 dreizehn Jahre alt und steuert zwischen Zahnspange und Skateboard schnurstracks in die Pubertät. Zu Hause kabbelt sich der Teenager (Izaac Wang, mit dem Regisseur nicht verwandt) mit seiner bald ins College verschwindenden älteren Schwester (Shirley Chen), liebt seine Oma und ist genervt von der Mutter Chungsing (Joan Chen), die sich um den Haushalt kümmert und von verpassten Chancen als Malerin träumt, während ihr Mann für den Job die meiste Zeit in der alten Heimat ist. Ansonsten verbringt er seine Zeit im Internet oder mit seinen Kumpels, verknallt sich in eine Klassenkameradin und sucht Anschluss bei ein paar älteren Kids, indem er behauptet, aufstrebender Skate-Filmer zu sein.
Dass weder mit dem Mädchen noch mit den coolen Jungs am Ende alles so läuft, wie Chris sich das erhofft, ist auf den ersten Blick schon das Aufregendste, was in »Dìdi« passiert, so gewöhnlich ist der jugendliche Alltag dieses Helden. Doch es zeichnet Wang als Filmemacher aus, wie er in kleinen Beobachtungen und Momenten in dieser Normalität das Besondere zutage bringt. Die familiären Spannungen, die durch die Abwesenheit des Vaters zwischen Chungsing und ihrer Schwiegermutter entstehen. Die kleinen Flunkereien, mit denen Chris seinen Schwarm für sich begeistern will. Die instinktiv in den Raum gestellte Behauptung, halb-asiatisch zu sein, die tief blicken lässt, was kindliche Diskriminierungserfahrungen und das Ringen mit der eigenen Identität angeht. All diese Feinheiten machen den Film zu einer erfreulich speziellen und spezifischen Coming-of-Age-Geschichte.
Spezifisch ist »Dìdi« auch in der Genauigkeit, mit der hier die Nullerjahre wiederauferstehen, nicht nur mittels des Soundtracks oder Filmreferenzen, sondern vor allem durch nachgebaute MySpace- oder AOL-Messenger-Seiten. Aber natürlich auch in den Verknüpfungen, die Wang zur eigenen Biografie herstellt, vom Bay-Area-Setting bis hin zur eigenen Großmutter, die er hier mal eben als Schauspielerin einsetzt. Atmosphäre wird bei all dem größer geschrieben als Plot, doch die zwischen Euphorie, Wut und einsamer Traurigkeit schwankenden Pubertätsstimmungen fängt der Film ungemein realistisch ein. Und gerade in Chris' Beziehungen zu Schwester und Mutter geht er richtig zu Herz. Was natürlich auch an Joan Chen liegt, die lange keinen so starken Auftritt hatte wie hier.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns