Interview: Erica Tremblay über »Fancy Dance«
Erica Tremblay © Apple TV+/Gregory Wallace
Erica Tremblay, 1980 geboren und aufgewachsen in Seneca, Missouri, drehte bis zu ihrem Spielfilmdebüt mit »Fancy Dance« vor allem Dokumentar- und Kurzfilme
Ms. Tremblay, wie kam Ihnen die Idee zu Ihrem ersten Spielfilm, in dem die Beziehung zwischen einem Mädchen und seiner Tante im Zentrum steht?
Mit »Little Chief« hatte ich schon für einen Kurzfilm mit Lily Gladstone zusammengearbeitet und wollte unbedingt noch einmal mit ihr drehen. Das war meine erste Motivation, als ich anfing, »Fancy Dance« zu entwickeln. Damals lebte ich in einem Reservat und machte einen Sprach-Immersionskurs. Jeden Tag sprach ich acht Stunden lang Cayuga, meine indigene Muttersprache, die eigentlich so gut wie ausgestorben ist. Diese Sprache ließ mich nicht los. Und ganz konkrete Wörter fingen an, mich zu inspirieren.
Welche denn??
In Cayuga lautet das Wort für Mutter »kno:ha«. Und das für Tante heißt »kno:ha:ah«, was übersetzt eigentlich »kleine Mutter« heißt. Das hat mich enorm berührt, weil es viel aussagt über die ursprünglich matriarchalen Strukturen unseres Volkes, die durch den Kolonialismus und die Vorherrschaft der Weißen zu weiten Teilen verloren gegangen sind. Ich wollte unbedingt eine Geschichte erzählen über die Verbundenheit der Frauen, die ich in der Sprache erkannt habe, aber eben übertragen auf die Realitäten der heutigen Zeit.
Jax und ihre Nichte Roki machen sich gemeinsam auf die Suche nach Rokis Mutter. Die Vielzahl verschwundener und ermordeter Frauen ist traurige Realität für die Community der Native Americans, doch oft werden ihre Fälle nur zum Ausgangspunkt für klassische Thriller-Narrative. Wollten Sie da bewusst gegensteuern??
Meine Mitautorin Miciana Alise und ich wussten auf jeden Fall, was wir nicht wollten: Wir zeigen ganz bewusst keine Leiche und gehen auch nie ins Detail bezüglich irgendwelcher Gewalttaten. Es war aber auch nicht unser Ziel, die brutalen Realitäten im Alltag moderner Native Americans auszublenden. Aber sie sollten eben nur am Rande eine Rolle spielen, während im Zentrum die Liebe und die Lebensfreude dieser beiden Frauen innerhalb ihrer Gemeinschaft stehen. Geschichten über diese Faktoren modernen indigenen Lebens werden viel zu selten erzählt.
Ist das auch der Grund, warum der Film, ohne autobiografisch zu sein, doch sehr viele persönliche Aspekte Ihrer eigenen Biografie in sich birgt?
Es ist interessant, dass jedem, der mit mir über »Fancy Dance« spricht, sofort biografische Bezüge auffallen. Dabei haben Miciana, die ja auch eine Native ist, und ich nur das getan, was andere Filmemacher*innen auch tun, nämlich unsere Figuren individuell mittels unserer eigenen Erfahrungen zum Leben erweckt. Wir haben beide selbst keine Kinder, sind aber Tanten, also wussten wir zum Beispiel genau, wie diese Dynamik funktioniert.
Wann haben Sie eigentlich Lily Gladstone kennen gelernt?
Entdeckt habe ich Lily, wie es sich für einen Filmfan gehört im Kino. Ich liebe die Filme der Regisseurin Kelly Reichardt, in deren »Certain Women« sie mitspielte. Davor kannte ich Lily nicht, aber sobald ich in diesem Film ihr Gesicht auf der Leinwand sah, war ich vollkommen begeistert. Es passiert so unglaublich selten, dass man in einem Film unverhofft jemanden sieht, der erkennbar Native American ist, ohne dass das für die Geschichte eine Rolle spielt.
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