Kritik zu Disconnect

© Weltkino

2012
Original-Titel: 
Disconnect
Filmstart in Deutschland: 
30.01.2014
L: 
115 Min
FSK: 
12

Cybermobbing, Onlinekriminalität und Pornochats – das ist der Stoff, aus dem Henry-Alex Rubin seine an Robert Altmans Short Cuts gemahnende gesellschaftliche Bestandsaufnahme gewinnt

Bewertung: 4
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 4)

Nach einer Dreiviertelstunde von Henry-Alex Rubins Film Disconnect sehnt man sich ins analoge Zeitalter zurück. Das war eine Welt, in der es noch nicht zum Alltag von Jugendlichen gehörte, unliebsame Außenseiter mit erniedrigenden Fotos auf dem Smartphone bloßzustellen; wo es Kriminellen nicht möglich war, Kontodaten auszuspähen und bürgerliche Existenzen zu vernichten; wo Eltern noch mit ihren Kindern sprachen...

Cybermobbing, Onlinekriminalität und Pornochats – das ist der Stoff, aus dem ­Andrew Sterns Drehbuch entstanden ist. Regisseur Henry-Alex Rubin ist mit der Dokumentation Murderball (2005) bekannt geworden, einer Studie über Querschnittgelähmte, die an den Paralympics in Athen teilnehmen wollen. In Disconnect erzählt er Geschichten in der Tradition von Short Cuts und L. A. Crash. Aus zahlreichen Erzähllinien und Episoden setzt sich das Bild einer Gegenwart zusammen, die einen hohen Preis für die digitalen Errungenschaften entrichtet. Der Film verliert sich dabei nicht in den Oberflächenreizen der Technik, der dokumentarische Ansatz mündet in ein hochintensives Drama. Rubin zeigt Menschen in krisenhaften Momenten ihrer Exis­tenz – das Internet ist nicht die Ursache dieser Krisen, aber es verschärft sie radikal.

Ken Seng (Kamera), Lee Percy und Kevin Trent (Schnitt) erschaffen zunächst eine Filmwelt, die so fragmentiert erscheint wie das endlose Themenangebot des Internets. Erst allmählich konzentriert sich die Handlung auf die Menschen, die das Universum von Disconnect bevölkern. Sie alle werden sich auf schicksalhafte Weise begegnen. Zum Beispiel der Anwalt Rich Boyd (Jason Bateman) und seine Frau (Hope Davis). Sie sind mit Job, Alltag und Mobiltelefonen vollauf beschäftigt. Ihr sensibler Sohn Ben (Jonah Bobo) lebt wie ein Fremder in ihrer Mitte. Er wird zum Opfer einer von Schulkameraden inszenierten Internetattacke. Derek und Cindy (Alexander Skarsgård und Paula Patton) haben ihr Kind verloren. Cindy findet Trost in einem Trauerportal, Derek pokert virtuell: Selbsttherapie online. Die Fernsehjournalistin Nina (Andrea Riseborough) schließlich wittert in der Arbeit des Onlinestrippers Kyle (Max Thieriot) den Aufhänger für eine spektakuläre Geschichte.

Henry-Alex Rubin ist ein Meister virtuoser Übergänge, er montiert Episoden und Erkenntnisse über unsere Gegenwart zu einem faszinierenden Lehr- und Leidensstück. Eine Existenz ohne Festplatte und Laptop ist für jene Menschen in Disconnect undenkbar. Je mehr sie mit den Mitteln der neuen Techniken kommunizieren, desto mehr kommen sie der realen Welt abhanden.

Rubins Ensemble beglaubigt die Bildersprache des Films. Jason Bateman als Vater scheint gleichsam aus einer Gefühlsstarre zu erwachen, als er mit dem Selbstmordversuch seines Sohnes konfrontiert wird. Alexander Skarsgårds Derek kommt ebenso erst durch Schmerz zu Erkenntnis – und Erlösung. Disconnect ist auf der Höhe der Zeit, der Film durchdringt die Paradoxie moderner Technik, die Menschen gleichzeitig verbindet und trennt. Die komplexe Geschichte erzählt Rubin im Kern aber auf altmodische Weise: über subtil gezeichnete Figuren.

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