Kritik zu Helke Sander: Aufräumen

© Barnsteiner Film

2023
Original-Titel: 
Helke Sander: Aufräumen
Filmstart in Deutschland: 
07.03.2024
L: 
82 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Claudia Richarz ist ein ungeheuer intensives und materialreiches Porträt einer der bedeutendsten deutschen Filmemacherinnen und Pionierin des Feminismus gelungen

Bewertung: 4
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Am Anfang steht ein Ausschnitt aus Sanders Film »Die Deutschen und ihre Männer« (1989), in dem die junge Filmemacherin einige der im Titel genannten Männer so hartnäckig und direkt mit ihrer eigenen Position im Gewaltverhältnis konfrontiert, dass es auch beim Zuschauen wehtut. Dann ein Schnitt ins Hier und Jetzt – und ein ausführlicher Besuch in einem Bestattungshaus, wo Sander nach der Besichtigung einiger ausgestellter Särge erklärt, dass sie eigentlich lieber nur in einem Tuch begraben werden möchte. Als der Bestatter ihr erklärt, dass das rechtlich derzeit nicht möglich ist, gibt sie ihm die Aufgabe, in der – hoffentlich noch langen – Zeit bis zu ihrem Ableben diese Option über die Berufsorganisation durchzusetzen. 

Zwei Szenen, die anschaulich (und mit Humor) den beharrlich um Veränderung ringenden und angstfreien Charakter der Protagonistin präsentieren und so als Motto für den Rest des Films stehen können. Sie zeigen auch die Machart des Films an, in dem lange Ausschnitte aus Sanders Filmen mit Interviews und Gesprächen montiert sind. Bei denen spricht die Regisseurin etwa an ihrem Arbeitsplatz oder in einem Archivraum direkt in die von Richarz' selbst gehaltene Kamera oder unterhält sich etwa mit der Kollegin Gesine Strempel im Weit des Tempelhofer Felds darüber, wie sie als junge Frauen in den bewegten Zeiten damals ihre Kinder nach heutigen Maßstäben schwer vernachlässigten. Da Sander sich in ihren Filmen immer wieder selbst in dem eigenen Leben nachempfundenen Rollen inszeniert (»… insofern nutze ich mich als Material«), sind die Übergänge zwischen diesen Erzählebenen fluide.

Sanders ist eine der bedeutendsten deutschen Filmemacherinnen. Sie war eine Pionierin des Feminismus, die mit ihrer legendären, zum Tomatenwurf führenden Rede gegen die SDS-Machos auf dem Podium 1968 den Anstoß für die zweite »autonome« Frauenbewegung der BRD setzte. Sie war Mitgründerin des ersten (damals Filmseminar genannten) internationalen Frauenfilmfestivals 1973 und 1976 der bis heute (mit anderem Fokus) existierenden Zeitschrift »Frauen und Film«. Diese war in Vor-Internet-Zeiten von großer Bedeutung als Quelle für Kontakte und Termine, erzählt sie. Doch es ging auch inhaltlich um die »Wirkungsweise des Sexismus in den Massenmedien« oder die prekäre ökonomische Situation von Filmfrauen.

Ernüchternd, dass auch fünfzig Jahre später die Finanzierung dieses Porträts ganze fünf Jahre brauchte. Claudia Richarz (»Vulva 3.0«) war einst Studentin von Sander an der Hamburger HFBK, konnte den Film aber ohne professorale Einrede realisieren. Nur der schöne Titel war ein Vorschlag von Sander selbst, die in ihren Mittachtzigern dabei ist, auch jenseits der Bestattungsvorsorge ihre beruflichen und privaten Hinterlassenschaften zu regeln. Das Aufräumen habe aber auch eine »innere Bedeutung«, sagt sie, »etwas Transzendentes«. Und holt aus dem Küchenschrank eine alte Porzellantasse, die die Feuernacht nach den verheerenden Bombenangriffen auf Dresden im Februar 1945 überlebt hat. Die durchlitt auch Helke Sander mit kleinem Bruder und einer Mutter, der die Achtjährige zur Verhinderung eines Suizids die Pistole aus der Hand schlug. Die Erzählung des traumatischen Erlebnisses wird im Film durch Archivbilder intensiviert.

Schade, dass die wichtige Debatte um Sanders Film »BeFreier und Befreite« im Film nur mit zwei kurz eingeblendeten Zeitungsausschnitten und einer abwiegelnden Bemerkung von Sander vorgestellt wird. Deutlicher sichtbar werden die innerfeministischen Konflikte, wo Sander jenen Flügel vertrat, der die Frage der Mutterschaft in den Fokus der Kämpfe stellte. Weitergeführt wird dieser Ansatz bei einem Auftritt von Sander bei einer Feierstunde zum 50. Jahrestag ihrer SDS-Rede in Frankfurt, wo sie mit der ihr eigenen Vehemenz mehr Aufmerksamkeit für das Biologische einfordert und die »Gender-Bewegten« abwertend von »Frauen im eigentlichen Sinn« abgrenzt. Es spricht für Richarz' dokumentarischen Ethos, dass sie solche Äußerungen und auch den folgenden Gegenprotest in ihrem Filmporträt nicht ausspart.

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