Disney+: »Cristóbal Balenciaga«
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Irgendwann, spät in seiner Karriere, explodiert er – sofern das für einen verschlossenen Menschen möglich ist. Auf die Frage seiner Aktionär:innen, ob man das Modehaus nicht auch ohne ihn weiterführen solle, schnarrt Cristóbal Balenciaga (Alberto San Juan): »Kann man Picassos machen ohne Picasso?!«
So stellt die Miniserie »Balenciaga« einerseits einen wichtigen Zusammenhang her – Mode ist ein Teil der Kunst. Andererseits verknüpft sie Leben und Werk des baskischen Designers mit der politischen Situation Europas: In Balenciagas dreißig Jahren in der Haute Couture änderten sich die Verhältnisse enorm – im Kleinen wie im Großen.
Als Rahmenhandlung dient das einzige Interview, das Balenciaga 1971, ein Jahr vor seinem Tod, einer britischen Modejournalistin gab. Lange Rückblenden erzählen, wie der Designer nach seinem durch den Spanischen Bürgerkrieg bedingten Umzug nach Paris zunächst am Snobismus des Haute-Couture-Clubs zu scheitern droht: In der Rezension zur ersten Modenschau 1937 werden nicht nur fast ausschließlich die Hüte gelobt, die Balenciagas Partner, der französisch-polnische Adelige Wladzio D'Attainville (Thomas Coumans) entwarf. Sondern die Journaille schreibt auch noch seinen Namen falsch. Hier bei uns, steckt ihm zickig Coco Chanel (Anouk Grinberg), braucht es schon etwas mehr Individualität.
Doch Balenciaga besinnt sich auf seine Wurzeln, lässt sich von opulenten Formen und spanischen Gemäldeklassikern inspirieren, denkt Silhouetten neu – und wird zu einem der innovativsten Modeschöpfer der Welt, nach dessen Kleidern bald auch Grace Kelly schmachtet. Detailliert schildert die Serie die Vorwürfe der Mitläuferschaft gegenüber dem Haus Balenciaga, das während der Besatzung Frankreichs durch die Nazis geöffnet blieb, und gegen die sich Balenciaga mit der Aussage verteidigte, er sei »unpolitisch«. Doch die französische Geliebte eines ranghohen Nazis fragt Balenciaga nach der Vertreibung der »Boche« um Rat, weil sie doch beide »Kollaboteure« seien – trotz Balenciagas abwehrender Antwort bleibt eine Ambivalenz.
In den 50ern geht es um Fälschungen: »Copy is glory«, behaupten Kollegen und setzen auf den steigenden Marktwert. Balenciaga, der Ästhet, lässt dagegen seine Shows ohne Presse durchführen, damit veröffentlichte Kleiderskizzen nicht »nachgeschneidert« werden können. Einig sind sich die Konkurrent:innen dennoch: Niemand schmeichelt Frauenkörperformen so wie er.
Ruhig, bedächtig und ohne zu tief in Privatsphären zu wühlen, spinnt die klassische Durchsetzungsgeschichte, die den momentanen Trend an Designerschicksalserzählungen fortführt, einen glänzenden Stoff aus historischen und vestimentären Zusammenhängen. Am Ende tut einem der zurückhaltend porträtierte Stoffkünstler dennoch ein wenig leid: Es ist zwar wunderbar, wenn jemand etwas so gut kann. Aber die nie offen ausgelebte Liebe und ein problematisches Selbstverständnis verleihen Balenciagas Leben eine große Tragik. Darüber kann auch das schönste Etuikleid nicht hinwegtrösten.
OV-Trailer
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