Kritik zu Eine Million Minuten

© Warner Bros. Pictures

Christopher Doll verfilmt die reale Aussteigergeschichte, die Wolf Küper in seinem gleichnamigen Buch reflektiert hat. Ein Familienvater verabschiedet sich von einer aussichtsreichen Karriere, um reisend Zeit mit der Familie zu verbringen

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»Wo ist der Papa?«, fragt die kleine Nina morgens. »Der ist in New York, aber dieses Mal nur drei Tage.« Eine gewisse Resignation steckt in diesem Moment: Der Mann ist in der Welt mit wichtigen Klimazielen beschäftigt, die Frau zu Hause steckt in der Dauerschleife, mit trödelndem Nachwuchs, chaotischem Haushalt und aufreibendem Homeoffice als Architektin. Trotz fortschreitender Gleichberechtigung bleibt die Mehrfachbelastung Kinder, Familie, Haushalt und Beruf noch immer größtenteils an den Frauen hängen. 

So könnte man »Eine Million Minuten« in gewisser Weise auch als Weitererzählung von »Wunderschön« betrachten, dem dritten Film von Karoline Herfurth, in dem sie auch schon eine mit ihrer Situation hadernde Ehefrau und Mutter spielte. Im Kern erzählt »Eine Million Minuten« die Aussteigergeschichte der Familie Küper, in der sich die entwicklungsverzögerte kleine Tochter Nina eines Abends beim Vorlesen eine Million Minuten wünscht, »nur für die schönen Dinge«. Mit diesen Worten reißt sie ihre Eltern aus dem Hamsterrad des Lebens, unverzüglich räumen sie ihre Wohnung leer, verkaufen allen Ballast und ab in den Flieger nach Thailand, Australien, Neuseeland.

Die Küper'sche Geschichte haben Doll und vermutlich auch seine Hauptdarstellerin mit eigenen Erfahrungen und Überlegungen ergänzt; statt nach Australien geht es bei ihnen nach Island. Und da Regisseur und Schauspielerin selber eine kleine Familie haben, könnte man sich gut vorstellen, dass sie bei den Dreharbeiten en passant etwas Ähnliches erlebt haben, dass mithin der Film auch eine Art Familientherapie in eigener Sache ist. Zumindest aber vertieft er ein Thema, das Herfurth nicht erst seit ihrer fulminanten Lubitsch-Preis-Rede umtreibt. Durchaus als Signal zu werten ist, dass diesen Film ein Mann inszeniert hat, der offenbar nicht nur bereit ist, sich in die Situation einer Frau zu versetzen, sondern auch willens, an der eigenen Rolle zu rütteln. So liefert der ebenso amüsante wie nachdenkliche Film jede Menge gesellschaftlichen Gesprächs- und Verhandlungsstoff, für eine Generation, die schon mitten drin ist, in der Umbewertung der »work-life balance«.

Im Film wird Wolf Küper von Tom Schilling gespielt, und anfangs im Häuschen am thailändischen Strand, spürt man noch seine Unruhe, die nervösen Blicke aufs Handy, die Zerrissenheit, zwischen dem Beruf, den er jetzt nur noch halbtags ausübt, und der Familie. Und wie schon in den Filmen von Karoline Herfurth gibt es auch hier immer wieder magische, emotionale Kinomomente, beispielsweise wenn Wolf seiner Tochter ein Standfahrrad baut, das mit Lichterketten geschmückt ist, die Nina beim Treten zum Leuchten bringt. Oder wenn Nina unvermittelt die Chance bekommt, mal reinzuschnuppern in einen Beruf, für den sie womöglich nicht fit genug sein könnte. Wie nötig solche Filme sind, spürt man spätestens dann, wenn man den Mann in seiner Existenzkrise reflexartig bemitleidet, obwohl er lediglich eine Zeit lang das tut, was von Müttern noch immer selbstverständlich erwartet wird.

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