37. Fantasy Filmfest
»The Harbinger« (2022). © One Bad Idea Films
Das 37. Fantasy Filmfest bot die gewohnte Vielfalt der Gattung und Corona-Nachklänge
Die Pandemie ist (zeitweise?) vorüber, aber im fantastischen Film hat sie vermutlich mehr Spuren hinterlassen als in anderen Filmgenres, wird doch die Frage 'Was wäre, wenn...?' in diesem Rahmen am ehesten gestellt – und bietet eine Vielzahl von Antwortmöglichkeiten. Am direktesten nahm der amerikanische Film »The Harbinger« darauf Bezug, in dem die Furcht vor der Ansteckung die Bewohner eines Wohnhauses ebenso in die Paranoia treibt wie die Angehörigen der jungen Schwarzen Monique. Die ist eigentlich gerade aus der Provinz in die Großstadt gekommen, um ihrer Freundin Mavis beizustehen, die seit einiger Zeit von nächtlichen Visionen geplagt wird. Wie sich die ausbreiten und wie das mit der Pandemie verknüpft wird, erzählt Regisseur und Autor Andy Mitton in sparsamen, aber höchst wirkungsvollen Bildern.
Führte der Lockdown während der Pandemie zu vielen Filmen, die bei Figuren und Settings mit der Kunst der Selbstbeschränkung arbeiteten, so werden diese Kammerspiele glücklicherweise weiterhin gedreht, gerade im Genre des phantastischen Films. Wie gut das funktionieren kann, haben ja Klassiker wie Douglas Trumbulls »Silent Running«, die Verfilmungen von Richard Mathesons »I am Legend« und weitere Post Doomsday-Filme bewiesen.
Neben »The Harbinger« war »The Survival of Kindness«, Rolf de Heers im Berlinale-Wettbewerb erstaufgeführter Film, der eindringlichste dieser Filme beim diesjährigen Fantasy Filmfest. Hier befreit sich eine schwarze Frau mitten in der Wüste des australischen Outback aus einem Käfig, in den sie von Weißen eingesperrt wurde. Die trugen Gasmasken, das verknüpft den Film sofort mit Post-Doomsday-Motiven, auch wenn der Kontext hier lange in der Schwebe bleibt. Darüber hinaus war dies, wie die besten Filme dieses Subgenres, ein sehr physischer Film.
Als Kammerspiel für zwei (später drei) Figuren beginnt auch »Pandemonium« des belgischen Regisseurs Quarxx: eine Kollision auf verschneiter, einsamer Bergstraße endet mit dem Tod zweier Männer, des Auto- und auch des Motorradfahrers, die lange mit ihrem Schicksal hadern und die Zwischenwelt, in der sie sich nun befinden, nicht akzeptieren wollen. Später taucht auch noch das kleine Mädchen auf, das von dem Mann auf dem Motorrad überfahren wurde. Ihre Vorgeschichte lässt sie allerdings in einem anderen Licht erscheinen, so wie der ganze Film mit dem Fortschreiten der Erzählung zunehmend düsterer und surrealer wird. Auch weil die Figuren mit ihrer Schuld konfrontiert werden.
Das verbindet den Film mit einem weiteren Kammerspiel, »Raging Grace« von Paris Zarcilla. Der Job, den sich die asiatische Hausangestellte Joy erschleicht, verspricht ihr und ihrer kleinen Tochter Grace (die Joys Zwangsverhältnis mit einem früheren Arbeitgeber entspringt) eine halbwegs gesicherte Zukunft, denn der bettlägerige alte Mr. Garret dämmert die meiste Zeit vor sich hin in dem riesigen Haus, und seine Nichte Katherine taucht nicht allzu oft auf, um nach dem Rechten zu sehen. Von Grace weiß sie nichts, das soll Joys Geheimnis bleiben. Doch Grace ist ein neugieriges Kind, das es liebt, die zahlreichen Räume des Hauses zu erforschen. Von Mr. Garret entdeckt, schließt der alte Mann schnell Freundschaft mit ihr und erweckt in Joy den Eindruck, seine Nichte habe es auf sein Erbe abgesehen. Doch dann macht Joy eines Tages im Keller eine Entdeckung, die alles verändert. Am Ende geht sie aus den schrecklichen Ereignissen mit gestärktem Selbstbewusstsein hervor und stellt sich einer überfälligen Konfrontation.
Auch im kanadischen »Frontiers« von Guy Édoin verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Imagination: so selbstsicher Diane einen Jäger zur Rede stellt, der auf ihrem Land außerhalb der Jagdsaison ein Reh geschossen hat, so nervös wird sie doch, als sie entdeckt, dass die Hintertür ihres Hauses offen steht – daraufhin greift sie sofort zum Küchenmesser. Die zahlreichen Vorhängeschlösser an ihrer Haustür lassen vermuten, dass ihre Angst längst krankhafte Züge hat. In diesem Moment weiß sie noch gar nichts von den Radionachrichten: zwei Gefangene sind aus einem US-Hochsicherheitsgefängnis entkommen und haben möglicherweise die kanadische Grenze überschritten. Dass die Bedrohung hier allerdings nicht von außen, sondern von innen kommt, wird dem Zuschauer schnell klar. Diane und ihre beiden Schwestern erweisen sich zwar als eingespieltes Team, wenn es darum geht, das Reh zu zerlegen, aber ansonsten schwelen diverse Konflikte zwischen ihnen. Die dann auch noch verschärft werden, als unverhofft ihre Mutter auftaucht, die die Familie vor Jahren verlassen hatte. Doch nun ist ihr Ex-Mann tot und die Vier müssen gemeinsam entscheiden, was mit der Farm geschehen soll. Immer mehr verkomplizieren sich die Beziehungen innerhalb der Familie, schließlich taucht auch der Ex-Mann von Diane auf und sucht ihre Nähe. Am Ende scheint Diane ganz aus der Realität wegzudriften, aber auch hier unterminiert der Schluss noch einmal die Gewissheiten des Zuschauers.
Als weitgehendes Kammerspiel – um zwei Männer unterwegs in einem Auto – funktionierte auch der von Yuval Adler inszenierte »Sympathy for the Devil« mit Nicolas Cage in der Hauptrolle. Bei dem darf man ja immer darauf gespannt sein, wie sehr er im Film over the top ist. Hier lässt der Titel genau das vermuten und das Auftreten des Mannes mit rotgefärbten Haaren und farblich dazu passendem Jackett, der sich in der Tiefgarage eines Krankenhauses in den Wagen des Büroangestellten David setzt, als der gerade zu seiner Frau eilen will, die einige Stockwerke höher dabei ist, ihr Kind zur Welt zu bringen, ist nicht dazu angetan, uns vom Gegenteil zu überzeugen, spätestens, wenn er eine Pistole auf David richtet. Was er bezweckt, bleibt lange unklar, die Auseinandersetzung eskaliert bei jedem Halt, wo fremde Menschen die plötzlich hervorbrechende Gewalttätigkeit des Entführers zu spüren bekommen. Sehr ungleich sieht das Kräftemessen der beiden aus, so ist die Enthüllung, die schließlich die Verhältnisse auf den Kopf stellt, schon eine Überraschung.
Ausgehend von der Pandemie tauchte in der Gesellschaft auch immer wieder die Frage nach dem Umgangs mit Anderen auf – wenn Nachbarn und Freunde sich etwa zu Impfgegnern und Corona-Leugnern entwickeln. Die Frage nach dem Umgang mit dem ganz Anderen ist essentiell im fantastischen Film, George A. Romero stellte sie im Hinblick auf Zombies bereits 1985, in »Day of the Dead«, seinem dritten Film über Untote, in den Mittelpunkt seines Erkenntnisinteresses, bevor dies viel später von Fernsehserien wie »The Walking Dead« wiederaufgenommen wurde. Im französischen Film »The Animal Kingdom« erzählt Thomas Cailley davon in Form einer Familiengeschichte: Ein Vater und sein halbwüchsiger Sohn müssen damit umgehen, dass die Ehefrau und Mutter zu jenen Menschen gehört, die von einer neuartigen Krankheit befallen sind und sich nach und nach in tierähnliche Wesen verwandeln – body horror, der sich nicht in drastischen Bildern ausdrückt, sondern sehr poetische Seiten zeigt, etwa wenn der Sohn sich mit einem verwandelten Menschen anfreundet und am Ende nicht mehr derselbe ist.
Die breite Palette des Angebots, diesmal auch durch zwei Animationsfilme unterstrichen, zeigt sich beim Fantasy Film Fest auch darin, dass man Filme aus Ländern zu sehen bekommt, über deren Filmschaffen hierzulande nur wenig bekannt ist. Dafür stand dieses Mal »Tiger Stripes« von Amanda Nell Eu aus Malaysia (mit Geldern aus Taiwan, Singapur, Frankreich, Niederlande, Indonesien, Katar – und Deutschland), bei seiner Erstaufführung im Rahmen der Woche der Kritik im Mai in Cannes mit dem Grand Prix ausgezeichnet. Wie es vor allem skandinavische Filme in den letzten Jahren eindrucksvoll vorführten, verknüpft sich auch hier die Verwandlung der Protagonistin mit der Pubertät, genauer gesagt mit ihrer ersten Monatsblutung. Zaffan hat gerade mit ihrem ersten BH ihre Mitschülerinnen geschockt und erweist sich immer wieder als renitent gegenüber den Anordnungen der Lehrkräfte an der Schule, provoziert gerne auch mal ihre gläubige Freundin Zarah. Die körperlichen Veränderungen, die sie an sich selber feststellt, beunruhigen sie zuerst, führen dann aber auch zu einem verstärkten Selbstgefühl. Wird sie sich am Ende gänzlich in einen Tiger verwandeln und nicht mehr nur fauchend auf allen Vieren laufen? Oder wird der Exorzismus, den ein Arzt (mehr ein selbsternannter Wunderheiler) vornimmt, Erfolg haben?
Natürlich besteht das Filmangebot der Veranstaltung bei aller Vielfalt und künstlerisch herausragenden Filmen, die auch auf Nicht-Genrefestivals ihren Platz finden, zu einem nicht unwesentlichen Teil aus solider Genrekost, bei der auch bewährte Namen schon mal enttäuschen, so diesmal Xavier Gens (»Das Imperium der Wölfe«), dessen »Farang« zwar mit eindrucksvollen Kampfszenen punktete, aber leider nur eine allzu bekannte Geschichte erzählte, die vom Mann, der der Gewalt seiner Vergangenheit abgeschworen hat und in der Ferne mit Frau und Kind nur in Frieden leben will, aber am Ende aus persönlicher Rache gegen eine Übermacht von Schurken in den Kampf zieht. Nicht unbedingt originell war auch die Bedrohung im Abschlussfilm »Vermin« von Sebastien Vanicek – eine angriffslustige Spezies von Spinnen, die ein junger Mann seiner Sammlung in einem Hochhaus hinzufügt. Dass dieses in einer französischen Banlieue steht und die Protagonisten allesamt Kinder von Einwanderern sind, verleiht dem Film jedoch eine etwas andere Perspektive zwischen Egoismus und Solidarität.
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