Kritik zu Burning Days

© Cinemien

2022
Original-Titel: 
Kurak Günler
Filmstart in Deutschland: 
28.09.2023
L: 
129 Min
FSK: 
16

Ein junger Staatsanwalt aus der Großstadt scheitert in einer anatolischen Kleinstadt an korrupten Strukturen und eigener Selbstüberschätzung. Emin Alper gelingt das Porträt einer von Populismus regierten Gesellschaft 

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Abgründe tun sich auf in der kleinen anatolischen Stadt Yaniklar: Plötzlich entstehende Sinklöcher, die schon mal ganze Ställe mitsamt Vieh in die Tiefe reißen. Es hat irgendwas mit dem Grundwasser zu tun beziehungsweise mit einem Bauprojekt, das die Wasserversorgung eigentlich hatte verbessern sollen. Nun aber kommt es immer wieder zu Sperrungen, und dann bildet sich vor dem einzigen noch funktio­nierenden Brunnen eine lange Schlange von Einwohnerinnen mit Kanistern. Der Bürgermeister hängt irgendwie mit drin in der ganzen Sache, doch der letzte nach Yaniklar abgestellte Staatsanwalt musste kurz vor Beginn der Untersuchung der zwielichtigen Vorgänge schwer erkrankt abreisen; man munkelt von Vergiftung. Emre, seinem Nachfolger, soll das nicht passieren, Emre will es besser machen, Emre ist jung und idealistisch. Aber er kommt eben auch aus der Großstadt und unterschätzt die paternalistischen Gepflogenheiten, die die sozialen wie die politischen Strukturen am Land bestimmen.

Der türkische Filmemacher Emin Alper, der mit »Burning Days« ein eigenes Drehbuch inszeniert, weiß, wovon er erzählt, er ist in Zentralanatolien aufgewachsen. Einer Region, in der sich die traditionellen Sitten und Gebräuche einer konservativen Türkei vielerorts noch weitgehend erhalten haben und die deswegen so manchem als rückständig gilt. Und so sieht sich denn auch die althergebrachte Ordnung alsbald schon herausgefordert durch Staatsanwalt Emre, der es ganz allgemein an Respekt fehlen lässt. Erst will er die gute alte Sitte der Freudenschüsse bei der Wildschweinjagd mitten durchs Städtchen abschaffen. Dann lässt er den Sohn des Bürgermeisters verhaften, weil der angeblich ein geistig minderbemitteltes Roma-Mädchen vergewaltigt hat. Obendrein schließt er Bekanntschaft mit dem oppositionellen Journalisten Murat, dem noch dazu nachgesagt wird, vom anderen Ufer zu sein. Es ist ein Kräftemessen von Anfang an, und Emres Zugriff schwindet rasch. Nicht zuletzt weil er bei einer Feier mit Honoratioren höflichkeitshalber allzu sehr dem Raki zuspricht und einen Filmriss erleidet. Nun klafft auch noch in seiner Erinnerung ein den Sinklöchern vergleichbar riesiges Loch.

Alper füllt es in der Folge allmählich mit Blicken in immer tiefere Abgründe, wobei er mit der ihm eigenen ruhigen Hand die Spannung hält. Was kraucht aus den Höllenschlünden, die sich allerorten auftun? Korruption, Machtmissbrauch, Rassismus, Misogynie und Homophobie, der gesamte Eigenschaftskatalog jener Gegenwartsgesellschaften, die unter der Fuchtel autoritärer Populist:innen stehen. Alper macht kein Hehl daraus, dass er mit dem fiktiven Yaniklar auch einen Mikrokosmos der Erdogan-Türkei geschaffen hat. Mit seiner Geschichte aber weist er weit über sein Heimatland hinaus: Wer ein schmutziges System von innen heraus säubern will, kommt meist nicht darum herum, sich auch selbst die Hände schmutzig zu machen.

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