Kritik zu Abluka – Jeder misstraut jedem
Der türkische Regisseur Emin Alper, gerade mit dem Kunstpreis der Berliner Akademie der Künste ausgezeichnet, dreht allegorische Erzählungen über ein Land, in dem patriarchale Gewalt unangefochten herrscht
Vielleicht ist es ja ein probates Mittel, den Zustand einer Gesellschaft anhand dessen zu bestimmen, was sie wegwirft. Emin Alper jedenfalls liefert der Blick auf den Unrat Aufschluss über die Seelenlage seiner türkischen Heimat. Sein Protagonist Kadir untersucht ihn von Berufswegen. Allerdings ist er kein profaner Müllmann, sondern ein gedungener Spion. Die letzten zwei Jahre seiner Haftstrafe könnten Kadir (Mehmet Özgür) erlassen werden, wenn er sich bei dieser besonderen Aufgabe bewährt. Er muss den Müll im Randbezirk einer Großstadt nach Hinweisen auf terroristische Aktivitäten durchwühlen. Die Nase ist hierbei sein wichtigstes Organ, denn er soll nach Resten von Sprengstoff schnüffeln. Nachts werden die Mülleimer in der Nachbarschaft regelmäßig in Brand gesteckt. Ist das nicht schon ein Indiz dafür, dass ihre Bewohner etwas zu verbergen haben?
Es ist nicht auszuschließen, dass sich die türkische Geheimpolizei solcher Methoden bedient, deren Erfindung, recht betrachtet, ebenso erniedrigend wie ihre Ausführung ist. Aber die Idee wirkt so verstiegen, dass man sie erst einmal im Reich der Allegorie ansiedeln möchte. Auch Kadirs jüngerer Bruder Ahmet (Berkay Ates) übt einen bezeichnenden Beruf aus: Er macht in städtischem Auftrag Jagd auf streunende Hunde. Das ist zwar ein »realistisches« Gewerbe. Aber als einmal die getöteten Tiere in einem Massengrab verscharrt werden, bietet der Regisseur den Zuschauern wiederum eine entschieden metaphorische Lesart an.
Es fällt schwer zu unterscheiden, was in »Abluka« nun Dystopie, Allegorie oder Realitätsschilderung ist. Nicht einmal die häufig eingeblendeten Nachrichtenbilder aus dem Fernsehen bieten zuverlässigen Anhalt. Man ist leicht verführt, sie mit denen zu überblenden, die man alltäglich aus der Türkei zu sehen bekommt. Dennoch hat Alper auch ihnen zuweilen einen Boden der Fiktion eingezogen. Sein Filmtitel und dessen Metamorphosen spielen der Mehrdeutigkeit seiner Fabel zu. Abluka lässt sich mit »Blockade« übersetzen, und in der Tat errichten (allerdings gespenstisch vermummte) Polizisten zahlreiche Straßensperren in dem verwahrlosten Viertel. Die deutsche Beifügung »Jeder misstraut jedem« verweist auf ein Klima allgemeinen Misstrauens. Der internationale Titel hingegen lautet »Frenzy«, Wahn, Raserei. Diese Spur führt direkt zu Kadir und Ahmet, die sich in der Wirklichkeit immer weniger zurechtfinden. Damit lässt Alper zugleich ein System patriarchaler Macht kenntlich werden, in dem die Staatsgewalt den eigenen Wahn auf die Bürger überträgt.
Die Angst vor dem Terror dient als ein Passepartout, um sich jedwedem unliebsamen Widerstand zu entledigen. Ein Verdacht ist leicht ausgesprochen und schwer zu entkräften. »Abluka« evoziert diese Atmosphäre einer verheerend verunsicherten Zivilgesellschaft nicht als ein paranoider, wohl aber als ein hellhöriger Film. Die Realität mag sich dem Zugriff seiner Figuren immer mehr entziehen. Die Montage wechselt raffiniert zwischen den Perspektiven der Brüder. Sein Blick auf sie bleibt jedoch klar. Sie sind Gezeichnete, denen die Gesellschaft keine Chance lässt, die Bruchstücke ihrer Existenz wieder zusammenzufügen.
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